Franziskaner - Winter 2023

12 FRANZISKANER 4|2023 Weihnachten auf der Straße Bernd Backhaus und Rudolf Dingenotto OFM In Ostberlin, wo Franziskanerkonvent und Suppenküche beheimatet sind, sind nur noch einige wenige Menschen kirchlich verankert. Deshalb ist der Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz Kirmes pur. Auf anderen Weihnachtsmärkten drehen sich riesige Krippenfiguren: die drei Könige, Maria, Josef und das Kind – Weihnachten als Event. Was zieht die Massen auf die Märkte? Wehmut, Nostalgie, Sehnsucht nach vergangenen Kindertagen, in denen alles gut war? Die Projektion, geborgen in einer heilen Familie zu sein? Geschenke zu bekommen? Weihnachtslieder zu singen? Weihnachtsgrüße zu schreiben? Romantik pur an einem Tag im Jahr? All das gibt es auch in unserer Suppenküche in Berlin-Pankow. Für Menschen, die auf der Straße, am Rand der Gesellschaft leben, ist es nicht anders als für alle anderen Menschen. Auch sie sind geprägt von den großen Erwartungen, die auf dieses Fest gerichtet sind. Auch sie hoffen darauf, dass es einmal besser, endlich gut wird. Mit dem einsetzenden Winter wird das Leben auf der Straße härter. Der Sommer mag noch eine gewisse Idylle im Nomadenleben vorgaukeln. Der Winter wird alljährlich zur Belastungsprobe. Und mitten im Winter, in der dunkelsten Nacht, ist dann dieses Fest, auf das alles zuläuft. Spätestens mit Beginn des Advents, wenn die erste Kerze entzündet wird, sind die Gedanken auf Weihnachten ausgerichtet. Das sogenannte Fest der Liebe löst Projektionen in beide Richtungen aus: von den Menschen am Rand und hin auf die Menschen am Rand. Menschen am Rand wissen oft nicht, wie und wo sie die Weihnachtstage erleben oder überleben können. Menschen in gutbürgerlichen Verhältnissen wünschen umgekehrt, für die Brüder und Schwestern auf der Straße diese Zeit des Jahres etwas schöner zu gestalten. Oft erwarten sie dabei etwas naiv, Freude und Dankbarkeit für die erwiesenen Gaben zu erleben, die dann wieder das eigene Herz wärmen. Die Suppenküche der Franziskaner gäbe es nicht, wenn es nicht Franziskus gegeben hätte. Er hat vor 800 Jahren in Greccio zum ersten Mal in der Geschichte Weihnachten live feiern wollen: mit den einfachen Leuten der Landbevölkerung, draußen im Freien, mit einer Krippe voll Stroh, mit Ochs und Esel. Als Erwachsener nennt er sich Menschensohn und teilt ihr Los. Jesus – unterwegs geboren – sagt von sich, er habe keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann: Gott als Fremdling, nicht überall willkommen. Mit dieser Krippenfeier hat Franziskus einen Rahmen geschaffen für die Sehnsüchte, die in den Menschen schlummern: die Sehnsucht, eine gemeinsame Menschheitsfamilie, Brüder und Schwestern zu werden; einen Ort zu wissen, wo jede und jeder willkommen ist. Von dieser Vision leben die Franziskaner bis heute. So haben sie in Pankow im letzten Jahr an Heiligabend zuerst mit 200 Gästen vom Rand der Gesellschaft gefeiert und in der Nacht im kalten Zelt mit 80 Gottesdienstbesucher:innen an einer Holzkrippe aus einer Palette auf Sandboden. Viele Besucherinnen und Besucher sagten hinterher: Es war zwar kalt und schlicht, kein feierliches Hochamt in einer festlichen Barockkirche, aber hautnah spürbar, wie es wohl in Betlehem war, und was Franziskus mit seiner Krippenfeier nachempfunden hat. Weihnachten beginnt aber nicht erst am Heiligen Abend. Bereits in der Vorweihnachtszeit fiebern viele auf das Fest hin: Mehrere Grundschulen packen alljährlich Weihnachtspakete für unsere Gäste, damit sie nicht leer ausgehen und die Freude des Festes angemessen mit einem Geschenk erleben können. Familien, Nachbarschaften und Freundinnen treffen sich zum Plätzchenbacken, um damit ein kleines Quäntchen Freude genießbar werden zu lassen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen der Suppenküche nehmen Anteil am Wohl und Wehe der täglichen Gäste. Immer wieder gibt es kleinere und größere PORTRÄT RUDOLF DINGENOTTO OFM © KIÊN HOÀNG LÊ Rudolf Dingenotto OFM ist Vertreter des Ordens für die Suppenküche in Berlin-Pankow Bernd Backhaus ist Leiter der Suppenküche in Berlin-Pankow

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