16 FRANZISKANER 4|2023 Menschwerdung Menschenrechte Menschenwürde Die Weihnachtskarte mit den Wandgemälden von Greccio hatte ich vor elf Jahren entworfen, als ich meine Arbeit als Geschäftsführer der franziskanischen Menschenrechtsorganisation Franciscans International begann. Das Fresko, das sich an einer Felswand in einer Grotte in den Bergen von Greccio befindet, projizierte ich auf die Mauer, die vom Staat Israel um Betlehem herum errichtet wurde. Vor der Mauer sind zwei israelische Soldaten zu sehen, deren Weg sich mit dem einer palästinensischen Frau kreuzt. Mit diesem Bild wollte ich auf die Situation von Frauen aufmerksam machen, die zur Entbindung ihrer Kinder eine schwierige und langwierige Prozedur auf sich nehmen mussten, um einen Checkpoint an der Mauer passieren zu können, um ein Krankenhaus zu erreichen. Diese Karte führt uns in drei Zeitepochen: die Zeit, in der Jesus in Betlehem geboren wurde (rechte Seite des Gemäldes), die Zeit des heiligen Franziskus, der die Geburt Jesu in einer Grotte bei Greccio feierte (linke Seite des Gemäldes), und schließlich in die Gegenwart in Betlehem. Wir glauben, dass Gott in der Geburt Jesu Mensch wurde. Gott wird Teil dieser Welt und tritt als Mensch in die Geschichte der Welt ein. Das sogenannte Martyrologium, das zu Beginn der Weihnachtsliturgie verlesen wird, macht deutlich, dass die Geburt Jesu in der ganz konkreten Geschichte stattfand: eingebunden in die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation »im 42. Jahr der Regierung des Kaisers Oktavianus Augustus«. Bei diesem Weihnachtsgeschehen handelt es sich aber nicht nur um ein Geschehen, das vergangen ist und spätestens mit dem Tod Jesu am Kreuz »Geschichte« ist: Wir glauben, dass Gott in jedem Menschen präsent ist, dass alle Menschen, als Schwestern und Brüder Jesu, Anteil haben an der Gotteskindschaft. Gott wird Mensch und heiligt damit jeden Menschen. Die unbedingte und unveräußerliche Würde, die einem jeden Menschen durch die Gottebenbildlichkeit zukommt, wird gewissermaßen bekräftigt, bestätigt und erneuert in dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Franziskus war ganz und gar überzeugt und geprägt von diesem Glauben, und er wusste sich von Gott gerufen, diese Wirklichkeit durch sein Leben zu verkünden. Mit der Weihnachtsfeier in einer Felsgrotte bei Greccio wollte er seinen Brüdern und den Menschen in der Umgebung von Greccio dieses Geheimnis von der Menschwerdung Gottes und damit auch von der Würde des Menschen nahebringen. Nur wenige Jahre zuvor war er selbst während eines Kreuzzuges beim Sultan und konnte persönlich erfahren, dass auch die Menschen muslimischen Glaubens seine Schwestern und Brüdern sind; dass sie genauso Gottes Kinder sind mit der gleichen Würde wie alle Menschen. Umso mehr schmerzten ihn die kriegerischen Auseinandersetzungen der sogenannten Kreuzzüge. Die franziskanische Ordensregel, die ebenfalls genau vor 800 Jahren von der Kirche offiziell bestätigt wurde, wird von Franziskus in der Aufforderung zusammengefasst: »das Evangelium zu beobachten«. Die Brüder sollen durch ihr Leben das Evangelium, die frohe Botschaft verkünden. Am 10. Dezember dieses Jahres begehen wir ein weiteres Jubiläum: Es werden dann genau 75 Jahre sein, dass die Vereinten Nationen die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« verkündeten. Diese Rechte gründen sich auf der Überzeugung Markus Heinze OFM
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