Franziskaner - Winter 2023

27 FRANZISKANER 4|2023 Fratelli tutti Thomas Abrell OFM Über die weltweite Geschwisterlichkeit Enzyklika unter der Lupe © PICTURE ALLIANCE / EPD-BILD In seiner Enzyklika über die »Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft« entfaltet Papst Franziskus seinen Traum von einer neuen, geschwisterlichen Welt und erhebt damit die Vision einer Menschheitsfamilie zur offiziellen Lehre der Kirche. Thomas Abrell beleuchtet in dieser Ausgabe einen Aspekt dieses zukunftsfähigen Lehrschreibens. »Die Liebe richtet uns schließlich auf die universale Gemeinschaft hin aus. Niemand reift oder gelangt zu Erfüllung, wenn er sich isoliert. Durch die ihr innewohnende Dynamik verlangt die Liebe eine fortschreitende Öffnung, eine immer größere Fähigkeit, andere anzunehmen, in einem nie endenden Abenteuer, das alle Ränder zu einem vollen Bewusstsein gegenseitiger Zugehörigkeit zusammenwachsen lässt. Jesus sagte uns: ›Ihr alle aber seid Brüder (Geschwister)‹. (Matthäus 23,8) Diese Notwendigkeit, über die eigenen Grenzen hinauszugehen, gilt auch für die verschiedenen Regionen und Länder. In der Tat: ›Die ständig steigende Zahl der Verbindungen und Kontakte, die unseren Planeten überziehen, macht das Bewusstsein der Einheit und des Teilens eines gemeinsamen Geschicks unter den Nationen greifbarer. So sehen wir, dass in die Geschichtsabläufe trotz der Verschiedenheit der Ethnien, der Gesellschaften und der Kulturen die Berufung hineingelegt ist, eine Gemeinschaft zu bilden, die aus Geschwistern zusammengesetzt ist, die einander annehmen und füreinander sorgen.‹« (Enzyklika »Fratelli tutti« 95/96) Wenn ich diesen Text von Papst Franziskus lese und dann die Nachrichten in den Medien verfolge, dann bemerke ich eine große Diskrepanz. Die Konflikte zwischen Staaten und Völkern beziehungsweise Volksgruppen werden stärker. Gewaltsame Konfliktaustragungen innerhalb von Gesellschaften nehmen zu. Das klingt nach einer Entwicklung, die der Öffnung, die Papst Franziskus beschreibt, entgegenläuft. Ist also die päpstliche Analyse nur ein Wunschtraum, eine Utopie? Gott sei Dank gibt es viele Menschen, die es mit dem Wort Jesu ernst meinen, dass wir alle Geschwister sind, und die Möglichkeiten nutzen, eine immer weitergehende Öffnung zu leben. Dabei helfen die modernen Kommunikationsmittel, die Menschen über alle Kontinente hinweg verbinden. Unter jungen Menschen gibt es ein weitverbreitetes Interesse an fremden Kulturen. Junge Leute machen sich für eine gewisse Zeit beispielsweise im Rahmen eines Freiwilligendienstes in fremde Länder auf und engagieren sich oftmals in sozialen Projekten. Umgekehrt sind Menschen aus anderen Ländern in Europa und Deutschland zu Gast und bringen sich ein. Gleichzeitig braucht es Wachsamkeit und Mut, Gegenposition zu beziehen, wenn laute Stimmen unsere Welt immer enger machen wollen und das manchmal auch noch im Namen des Christentums. Doch gerade unser christlicher Glaube ist auf immer größere Öffnung hin auf die Menschen aller Kulturen angelegt. Mit dem Prinzip »Liebe« als christlicher Grundhaltung verbindet sich Weite und Beziehung und das nicht nur für die Menschen, die uns nahestehen. Die Liebe als Grundhaltung gehört deshalb zu einem christlich geprägten Menschen- und Gesellschaftsbild. Wo sie fehlt, wo christliche Sozialisation fehlt, wird es schwierig, von der Geschwisterlichkeit aller Menschen mit den entsprechenden positiven Folgen zu sprechen. Erfolgreiche Demonstration gegen die zuvor angekündigte Kürzung der Gelder für die Freiwilligendienste im Bundeshaushalt 2024

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=