3 FRANZISKANER 4|2023 © MARKUS FUHRMANN OFM Wo Himmel und Erde sich berühren Meine Aufgabe als Provinzial bringt es mit sich, dass ich viel unterwegs bin. Fast immer fahre ich dann mit dem Zug. Das kann schon mal zu Überraschungen führen – nicht nur wegen Verspätungen bei der Bahn. Manchmal gibt’s auch etwas Spannendes zu entdecken. So zum Beispiel in Aschaffenburg, wo ich häufig einen längeren Aufenthalt beim Umsteigen habe, wenn ich auf dem Weg zu den Brüdern in Großkrotzenburg bin. In der Nähe des Hauptbahnhofs befindet sich die Kirche St. Agatha – ein Bau, an dem in den vergangenen 750 Jahren fast jedes Jahrhundert seine Spuren hinterlassen hat. Was mich anzieht, ist jedoch nicht das Kirchengebäude an sich, sondern das, was darin zu entdecken ist. Die »Krippenfreunde Aschaffenburg« gestalten in drei zu Vitrinen umgebauten Beichtstühlen und in einer großen Wandnische wechselnde Arrangements, in denen neben der Geburt Jesu weitere Szenen aus dem Alten und Neuen Testament zu bestaunen sind. Durch eines der Beichtstuhlfenster lässt sich Eva erkennen, wie sie dem neugierigen Adam keck einen Apfel vom Baum der Erkenntnis reicht. Durch ein anderes Fenster sehe ich Noah, der besorgt in den wolkenverhangenen Himmel schaut, während sich seine Arche mit Tieren aller Art füllt. Auch eine fröhliche Hochzeit zu Kana habe ich hier schon bewundert. Bei fast jedem Besuch in St. Agatha treffe ich auf neue Darstellungen biblischer Geschichten. Sie alle stehen letztlich in der Tradition der Weihnachtskrippen und der weihnachtlichen Krippenspiele. Eine historische Wurzel dieser Krippendarstellungen ist jenes Weihnachtsfest im Jahr 1223, das unser Ordensgründer Franziskus von Assisi in einer Grotte nahe der umbrischen Ortschaft Greccio gefeiert hat. Franziskus wollte das Wunder der Menschwerdung Gottes, die Geburt Jesu Christi in der Armut einer Krippe anschaulich und erlebbar machen. So ließ er für das weihnachtliche Hochamt in der Grotte eine Futterkrippe mit Heu und Stroh sowie Ochs und Esel herbeischaffen. Den mitfeiernden Menschen kam es in jener Heiligen Nacht so vor, als ob das Jesuskind in ihren Herzen lebendig geworden wäre, als ob Himmel und Erde sich berührten. In diesem Jahr feiert die franziskanische Ordensfamilie das 800-jährige Jubiläum der Krippenfeier von Greccio. Angesichts aller Krisenherde und Kriege in dieser Welt steht die Krippenfeier des Franziskus für die zeitlos Not-wendige Erinnerung und Ermutigung: Gott wird Mensch in all unserer Armut, in unserem Scheitern und unseren gewaltvollen Auseinandersetzungen. Er zeigt sich als der solidarische Gott-mit-uns. Diesem Gedanken gehen die Beiträge in der vorliegenden Ausgabe unserer Zeitschrift FRANZISKANER nach. Ich wünsche Ihnen eine Mut machende Lektüre und immer wieder Momente, in denen Sie spüren, dass Himmel und Erde sich berühren – nicht nur zur Weihnachtszeit! Markus Fuhrmann OFM (Provinzialminister)
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