30 FRANZISKANER 4|2023 Geldspenden zur Linderung der Not konnten nur ein erster Schritt sein, um den in Armut Geratenen zum Überleben zu verhelfen. Um jedoch eine Zukunft zu ermöglichen, bedurfte es humaner Marktstrategien, die der sozialen Gerechtigkeit entsprachen. Solche Strategien wurden in der Theorie entworfen und in der Praxis umgesetzt. Diese in der Geschichte der franziskanischen Bewegung gewachsene und erprobte Handlungsweise vermittelt einen Handlungsrahmen für ein heutiges von der franziskanischen Spiritualität geprägtes Leben: Sich aus dem vorgeblich Üblichen, Gebräuchlichen und angeblich Unveränderlichen herausrufen zu lassen, um die Welt, die Menschen und die Schöpfung empathisch mit den Augen der Bedürftigen, der Verwundeten und Geschundenen wahrzunehmen; die Realität so im Lichte des Evangeliums wahrzunehmen und zu deuten, dass Schritt für Schritt ein Perspektiven- und ein Standortwechsel ausgelöst wird. Dies erfordert, miteinander Alternativen in den Situationen zu suchen, die in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kirche nicht dem Evangelium entsprechen, und den Mut zu haben, diese in die Praxis umzusetzen. Im Blick auf die weltweit sich verbreiternde Schere zwischen Arm und Reich bedeutet dies, sich nicht mit Almosen zu begnügen, sondern die wirtschaftlichen und politischen Spielregeln auf die Basis einer zukunftsträchtigen sozialen Gerechtigkeit zu stellen. Veränderung der wirtschaftlichen und politischen Spielregeln Ausgehend von der Erfahrung der franziskanisch geprägten Wirtschaftsgeschichte gibt es einige bedenkenswerte Maßnahmen als Schritte zu einem nachhaltigen und zukunftsträchtigen Wirtschaften. Dazu gehört eine Neudefinition des monetären Kapitalbegriffs und des Verständnisses von Profit. Zum Kapital zählen nicht nur die Produktionsmittel und die Finanzierungsgrundlagen wie Eigen- und Fremdkapital. Diese in der Wirtschaftslehre eingeschränkte Sichtweise der Kapitaldefinition muss zugunsten eines integralen Kapitalbegriffes überwunden werden. Zum Kapital, mit dem weltweite Zukunft gestaltet werden kann, gehören Güter wie die Absicherung der Grundbedürfnisse, sozial ausgewogene Strategien der Bezahlung, der Familienpolitik, der Fürsorge für die Natur; ebenso Lebenswerte wie Gesundheit, Bildung, Schönheit und Ästhetik oder auch Freude und Glück als Ausdruck eines gelingenden Lebensentwurfes. Dementsprechend ist Profit in diesem Verständnis nicht der unter möglichst geringen Kosten und schnellstmöglich erwirtschaftete monetäre Gewinn und dessen alljährliche Steigerung. Zum Profit zählt vielmehr die Überwindung der Armutsspirale, ein durch das Solidarwesen getragenes Gesundheitssystem, umfassende Bildung, kulturelle Entfaltung genauso wie der Schutz der Natur und der Artenvielfalt. Eine solche gesamtheitliche Sichtweise von Kapital und Profit lässt uns auch das gängige quantitative Wachstumsparadigma hinterfragen. Die Idee eines ständigen Wachstums ist schon aufgrund der Ressourcenverknappung eine Illusion. Denn das derzeitige Wachstumsmodell, dass den sich steigernden Konsumzwang, der sich mit der Schaffung künstlicher Bedürfnisse verbindet, befriedigen soll, verbraucht enorme Ressourcen, verschwendet Energie und schafft Armut. Dem stellt die franziskanische Lebensgestaltung eine freiwillige Austerität (Sparsamkeit) entgegen. Dies führt zu einer kritischen Haltung gegenüber der künstlichen Erzeugung von Bedürfnissen und ihrer Befriedigung durch Luxusgüter, die für ein gelungenes Leben nicht unbedingt notwendig sind. Damit steht eine Maxime der Austerität quer zur Zwangsideologie eines ewigen quantitativen Wirtschaftswachstums und tritt ein für eine qualitative Fruchtbarkeit der Ökonomie, die den Schutz der Schöpfung berücksichtigt, Armut überwinden hilft und einen umfassend gelingenden Lebensstandard fördert. Hier gilt das Motto »Weniger ist mehr«. Daher ist auch die Bemessung des wirtschaftlichen Erfolges durch die Formel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) irreführend, da sie auf dem Wirtschaftsdogma beruht, welches das ständige Wirtschaftswachstum als eines der höchsten ökonomischen Ziele postuliert – koste es, was es wolle. Da das BIP nur Transaktionen, die einen Marktpreis haben, unreflektiert addiert und keine Aussagen über Natur- und Humanwerte berücksichtigt, ist eine Umstellung auf einen Indikator nötig, der sowohl die Natur und ihren Zustand als auch die menschlichen Lebensbedingungen mitberücksichtigt. Daher sollte die Messung des Bruttoinlandsprodukts durch eine holistische (ganzheitliche) Lebensqualitätsfeststellung ergänzt werden. Die Änderung des persönlichen Lebensstils Auch für das persönliche Leben ergeben sich beispielhafte Verhaltensweisen, von denen einige schon von vielen praktiziert werden. Dazu gehört das Befrieden der Wünsche, statt sie alle zu befriedigen. Ich muss mir nicht jeden Wunsch erfüllen. Eine gepflegte Genügsamkeit durch Verzicht befreit mich vom Zwang der Verschwendung. Statt frenetisch immer gleich noch funktionierende Produkte gegen das neueste und angeblich fortschrittlichste auszuwechseln, kann ich mir die Zeit gönnen, die Dinge und meine Konsumentscheidungen wachsen und reifen zu lassen. Das garantiert mehr Qualität. Eine solche Haltung des moderaten Konsums bedarf des sorgsamen Umgangs mit und einer sinnvollen Entsorgung der Dinge, um die Wegwerfkultur und eine unüberlegte Verschwendung der Ressourcen zu überwinden. Zu einem solchen sich ändernden Lebensstil gehört auch die Bereitschaft zu teilen, statt sich die Dinge anzueignen, sowie die Bereitschaft zu einer angemessenen Bezahlung statt der Schnäppchenjagd auf Spottpreise auf Kosten anderer. Die Konfrontation mit der Realität unserer Welt ist ein Anruf zum Perspektivenwechsel, der einen ganzheitlichen Standortwechsel erfordert, um eine holistisch gelingende Zukunft zu gestalten. Dazu will die franziskanische Spiritualität mit den aus dem Leben von Franziskus und Klara ersichtlichen Schritten – der Begegnung mit der Wirklichkeit, dem Sich-anrufen-lassen, der Offenheit, die Ansichten zu ändern – zur Änderung der Lebensgestaltung und zur Neuorientierung anregen.
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