Franziskaner - Winter 2023

39 FRANZISKANER 4|2023 » Brücken statt Mauern« Papst Franziskus Anna Lea Meinhardt »Asyl ist und bleibt Menschenrecht!« Das schreiben die Oberzeller Franziskanerinnen in einem aktuellen Statement, mit dem sie sich entschieden gegen den vorherrschenden Ton in der Debatte um die Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland positionieren. Die Franziskanerinnen reagieren damit auf die Vereinbarungen zwischen den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten mit Bundeskanzler Scholz Mitte Oktober. Der eingereichte Gesetzesvorschlag, so die Schwestern, kriminalisiere Menschen und greife in Privatsphäre und Menschenwürde ein. So wie die Oberzeller Franziskanerinnen versuchen auch andere Organisationen und Initiativen – darunter viele aus dem Bereich der Kirchen – Einfluss zu nehmen auf die aufgeheizte Debatte um eine Änderung der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Von all diesen Appellen unbeeindruckt einigten sich am 7. November Bund und Länder auf mehrere Beschlüsse zum Thema Migration unter der Überschrift »Humanität und Ordnung«. Als eines der Hauptziele wird darin beschrieben, die Zahl der Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, zu verringern. Doch was nach der Bekämpfung von Fluchtursachen klingen mag, sind Vorschläge, wie man die Menschen schneller abschieben kann oder sie gar nicht erst ins Land lassen muss. Spätestens seit den Wahlen in Hessen und Bayern und den dortigen Zugewinnen für die AfD agieren die demokratischen Parteien beim Thema Migration wie von der AfD getrieben, ist von Fachleuten zu hören. »Irreguläre Migration« Besonders gut lässt sich das an dem Begriff »irreguläre Migration« aufzeigen. Den Ausdruck nutzte die AfD 2017 in einem Papier, in dem es um Menschen ging, die über das Mittelmeer flohen. Heute ist dieser Begriff in aller Munde und sogar auf der Website der Bundesregierung zu finden. Dort ist zu lesen: »Die Bundesregierung fördert die legale Einwanderung, von der Wirtschaft und Gesellschaft profitieren. Gleichzeitig begrenzt sie irreguläre Migration.« Das suggeriere, »dass Flüchtlinge auf legalem Wege hierherkommen könnten und die illegalen Wege nur nutzen würden, weil sie ohnehin keinen Schutzanspruch hätten«, beklagt die vom 2020 verstorbenen katholischen Priester Herbert Leuniger gegründete Organisation Pro Asyl. Aktuell würden über 70 Prozent der inhaltlich bewerteten Asylanträge positiv entschieden – und die überwiegende Mehrheit aller Antragstellenden müsste dennoch auf diese Weise einreisen. »Denn die legalen Wege existieren de facto nicht«, so Pro Asyl. Die Menschenrechtsaktivisten verweisen darauf, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in Artikel 31 festgelegt habe, dass fliehende Menschen nicht aufgrund unerlaubter Einreise bestraft werden dürfen. Das Fazit von Pro Asyl in Bezug auf den Begriff »irreguläre Migration« lautet daher: »Rechte Parteien schwächt man nicht durch die Übernahme ihrer Narrative. Ganz im Gegenteil.« Auch andere Menschenrechtsorganisationen mahnen, dass rechte Parolen einfache Lösungen suggerieren und die Ängste der Menschen vor zu vielen Flüchtlingen schüren würden. Sie zeigen sich angesichts dieser Situation bestürzt darüber, dass Beschlüsse gefasst worden seien, deren Scheitern vorhersehbar sei, weil sie gegen die deutsche Verfassung, die Genfer Flüchtlingskonvention, die Grundrechtecharta der EU, die Menschenrechte oder gegen alle vier dieser grundlegenden Rechtsnormen verstießen. Viele politische Beobachter:innen verweisen darauf, dass das Scheitern dieser Beschlüsse zu noch mehr Unmut in Teilen der Bevölkerung führen und der AfD weitere Wahlerfolge bescheren könnte. Ähnlich wie die Oberzeller Franziskanerinnen haben kurz vor der Sitzung von Bund und Ländern 154 Organisationen, darunter auch die Diakonie Deutschland, der Deutsche Caritasverband und der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, in einem gemeinsamen Statement mit dem Titel »Die Menschenwürde gilt für alle – auch für Geflüchtete!« festgestellt: »Mit Bestürzung verfolgen wir die aktuelle politische Debatte über Asylsuchende, die zunehmend von sachfremden und menschenfeindlichen Forderungen dominiert wird.« In gleicher Richtung argumentiert Papst Franziskus, der daran erinnert, dass »das Ideal der ersten christlichen Gemeinschaft« weit von der heutigen Realität entfernt sei. In einer Rede in Marseille rief der Papst dazu auf,

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