Franziskaner - Winter 2023

41 FRANZISKANER 4|2023 © PICTURE ALLIANCE / GEISLER-FOTOPRESS Viele Beobachterinnen und Beobachter der Verhandlungen um die sogenannten Asylkompromisse fragen sich, wie es sein kann, dass unterm Strich im Grunde kaum zielführende Entscheidungen gefällt worden seien. Angesichts der Tatsache, dass die Ministerpräsident:innen ebenso wenig wie Bundeskanzler Scholz unvorbereitet in die Sitzung gegangen sein werden und vermutlich die Einschätzungen der Expert:innen gekannt haben, wird vermutet, dass ein Großteil der Beschlüsse Schaufensterpolitik gewesen sind. Was wir schaffen können Der Beauftragte der Evangelischen Kirche für Flüchtlingsfragen, Bischof Stäblein, äußerte sich gegenüber dem Deutschlandfunk und erinnerte daran, dass Deutschland starke Schultern habe und über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine auf hervorragende Art und Weise aufgenommen habe. Er ermutigt, konstruktive Lösungen zu finden. Das ist das, was auch die 154 Organisationen, Papst Franziskus, Kardinal Marx und viele weitere versuchen. Sie stellen die Menschenwürde in den Mittelpunkt der Debatte um Asylpolitik und erinnern an die unsere Gesellschaft verbindenden Werte. In den kritischen Stellungnahmen zu den Beschlüssen werden keineswegs die realen Probleme, vor denen die deutsche Gesellschaft steht, kleingeredet. Es wird keinesfalls geleugnet, dass einige dieser Probleme durch eine große Zahl von neu hinzukommenden Flüchtlingen verschärft werden. Es ist unübersehbar, dass viele Kommunen überlastet sind – finanziell und personell. Auch der fehlende Wohnraum ist ein Problem. Aber es gibt viele Vorschläge und Lösungsansätze, wie Asyl- und Flüchtlingspolitik anders gestaltet werden könnte. Zu der Bekämpfung von Fluchtursachen gibt es einen 220 Seiten langen Bericht der »Fachkommission Fluchtursachen«, der im Mai 2021 der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag vorgestellt wurde. Der Bericht beinhaltet fünf konkrete Handlungsfelder, die bei der Bekämpfung von Fluchtursachen entscheidend helfen könnten. Doch dieser Bericht scheint untergegangen zu sein. Pro Asyl fordert, die Kommunen zu unterstützen, und stellt fest: »Dort, wo Strukturen, Netzwerke, runde Tische und Personalstellen in der Integrations- oder Flüchtlingssozialarbeit nach 2016 nicht abgebaut wurden, sind die Kommunen aktuell besser gerüstet. Dies zeigen auch die jüngeren Erfahrungen: Wo die betreffenden Strukturen beibehalten oder sogar weiterentwickelt wurden, war man im Jahr 2022 besser auf die Aufnahme von bundesweit einer Million Geflüchteter aus der Ukraine sowie knapp 200.000 Asylsuchenden eingestellt.« Ebenso bietet Pro Asyl einen Vorschlag für das Wohnungsproblem: »Wenn Geflüchtete ihren Wohnort frei wählen können, wie die Geflüchteten aus der Ukraine, finden sie auch über private Kontakte Unterkunft. […] Allen sollte möglichst schnell eine private Unterbringung, zum Beispiel bei Freund:innen und Verwandten, ermöglicht werden. Dies führt zu einer deutlichen Entlastung des kommunalen Aufnahmesystems.« Und ein Problem könnte durch Migration und gute Integration sogar gelöst werden: Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz wird der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren noch deutlich steigen. Würde man den Vorschlägen von Pro Asyl folgen, könnte dem entgegengewirkt werden, wenn Geflüchtete keinem Arbeitsverbot unterliegen und weitere Hürden abgebaut würden, die die Arbeitsaufnahme erschweren. Welche konkreten Maßnahmen auch immer die künftige Asylpolitik gestalten werden, es bleibt die Hoffnung, so die 154 Organisationen in ihrem gemeinsamen Statement, dass die Menschenwürde für alle gilt – auch für Geflüchtete. Darauf hofft auch die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, Dr. Katharina Ganz. Sie erinnert daran, dass Klara von Assisi nach ihrer Flucht aus dem Elternhaus in einer Kirche Unterstützung und Zuflucht gefunden hat, und sieht in der Unterstützung schutzsuchender Menschen eine Aufgabe für christlich und speziell franziskanisch-klarianisch orientierte Menschen. Schwester Juliana Seelmann, Menschenrechtsbeauftragte der Oberzeller Franziskanerinnen, bekräftigt: »Als Kirchen und auch als Europäische Union sollten auch wir so handeln und für ein menschenwürdiges Asylrecht eintreten.« Nicht nur die Kirchen und Hilfsorganisationen fordern eine Änderung der Haltung in der Asyl- und Migrationspolitik. Bei Demonstrationen wie hier in Berlin werden Stimmen aus der Zivilgesellschaft laut nach einem Abbau der Grenzen und nach mehr Menschlichkeit.

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