43 FRANZISKANER 4|2023 Der Franziskaner Tiem Tran ist Kernphysiker und hat über Neutrinos (elektrisch neutrale Elementarteilchen) und die Energie der kleinsten Teilchen der Atome geforscht den Sternen bis zu den Elementen setzt er dabei alles in eine geschwisterliche Beziehung. Das passte perfekt in Tiems eigenes Weltbild und zu seiner Suche! Aber er spürte auch, dass er dies nicht alleine begreifen konnte. Die Unendlichkeit in ihm verlangte nach Gemeinschaft. Bei den Franziskanern in Metz fand Tiem eine geistliche Heimat und daher trat er nach seinem Master in Physik dem Orden bei. Für ihn hatten sich neue Horizonte aufgetan, die er in einem Philosophie- und Theologiestudium verstehen wollte. Er wollte mehr über das Leben, über Gott und die Menschen und die Zusammenhänge lernen. Nach Studium und Grundausbildung in pastoraler Arbeit wurde er 2002 zum Priester geweiht und arbeitete zunächst mehrere Jahre in der Jugendpastoral. Hier konnte er seine eigenen Erfahrungen mit dem Glauben in einer modernen Welt an junge Leute weitergeben. Zurück zu den Wurzeln und in die weite Welt Es war der Orden, der ihn nach einigen Jahren dazu ermutigte, zurück zu seinen Wurzeln zu gehen, sich wieder der Physik zuzuwenden, und ein Promotionsstudium zu beginnen. Bildung wird bei den Franziskanern großgeschrieben, und für die Mission in Asien wurden gebildete Brüder als Professoren gesucht. Tiem hatte sich freiwillig gemeldet, denn er war fasziniert von dem schier unendlichen Schatz an Kultur und Geschichte und den vielen Menschen und der hektischen Geschäftigkeit in Asien. Aufgrund seiner guten Mathematik- und Programmierkenntnisse konnte Tiem sein Doktorat in zwei Jahren abschließen. 2010 wurde er nach Hanoi gesandt. Er lebte dort fünf Jahre mit den Brüdern im Kloster in der vietnamesischen Hauptstadt und arbeitete als Professor an der Wissenschaftlichen Akademie. E=mc2 »Das Denken des 21. Jahrhunderts muss interdisziplinär sein. Denn alles ist miteinander verbunden, drückt sich aber unterschiedlich aus«, erklärt Tiem und nimmt die Grundsätze der Naturwissenschaft und wendet sie auf Philosophie, Theologie und Psychologie an. Tiem kann begeistert vor einer physikalischen Formel stehen und ihre Logik und Komplexität bewundern – und gleichzeitig darin ein Sakrament sehen. Je einfacher die Formel, umso faszinierender und schöner. Materie ist Energie – Energie ist Materie. Unser Verstand kann das nur schwer begreifen, aber in der Physik ist es das Gleiche. Die berühmte Formel von Albert Einstein besagt: E=mc2, Masse ist Energie im Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Für Tiem bedeutet das: Geist und Körper sind eins in der Unendlichkeit Gottes, und das Gleichzeichen ist die Seele, die die Verbindung herstellt. »Die Menschwerdung Gottes in Jesus als lebenden Menschen ist für mich als Physiker damit kein Problem«, ergänzt er seinen Gedankengang schmunzelnd. Heute ist Tiem Tran Gemeindepfarrer im Umland von Metz. Als Priester und Seelsorger möchte er den Menschen helfen, die Dimensionen des Glaubens in ihrem Leben zu entdecken. Nebenbei schreibt er Bücher. Dabei wendet er wissenschaftliche Thesen aus der modernen Physik an, um die Welt und Gott zu verstehen: »Wenn sich Raum und Zeit in einem Schwarzen Loch umkehren, und aus drei Raumdimensionen nur noch eine wird, aus einer Zeitdimension aber drei … wie wäre es, wenn wir auf Gott selbst drei Zeitdimensionen anwenden und ihn neu denken?« Faszinierend! © KORMOS ADRIENN
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