46 FRANZISKANER 4|2023 Als Verteidigungsminister Boris Pistorius in einer »Berlin direkt«-Sendung im ZDF davon gesprochen hat, dass wir »kriegstüchtig« werden müssen, materiell und mental, lief es mir kalt den Rücken runter. Bei der Vorstellung der neuen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« benutzte er die Variante »kriegsfähig«. Rein rechtlich gesehen ist anzumerken, dass die Bundeswehr verfassungsrechtlich eine »Verteidigungsarmee« ist, es also darum zu gehen hat, »verteidigungsfähig« zu sein. Kriegsfähigkeit suggeriert dagegen auch Angriffsfähigkeit. In den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« heißt es neuerdings: »Die Bundeswehr ist ein Kerninstrument unserer Wehrhaftigkeit gegen militärische Bedrohungen. Hierzu muss sie in allen Bereichen kriegstüchtig sein.« Wenn wir an Weihnachten das »Fest des Friedens« feiern, dann wissen wir heute bei Abfassung dieses Kommentars noch nicht, wie »friedlich« es werden wird und für wie viele Menschen nur die Sehnsucht nach Frieden bleibt. Aus franziskanischer Perspektive gilt es, »friedenstüchtig« und »friedensfähig« zu werden. Franz von Assisi war es ein großes Anliegen, den Menschen den Frieden Gottes zu verkünden. Das Jubiläum des Weihnachtsgeschehens von Greccio fällt in eine Zeit, in der alle pazifistischen Bemühungen als überholt und naiv erscheinen. Mir kommt das Bild des Tisches vor Augen. An Weihnachten versammeln sich die Menschen an diversen Tischen, um miteinander zu essen und zu feiern – auch diejenigen, zwischen denen es in den Familien knirscht und deren Beziehungen gerade nicht optimal sind. Ein gemeinsames Mahl stiftet Frieden. Um zusammenzukommen, muss ein Tisch jedoch nicht immer rund sein. Die Missbrauchsbetroffenen haben die Initiative »Eckiger Tisch« gegründet, weil es nicht um eine »runde Sache« geht, sondern um eine, die sperrig ist und ein intensives Ringen miteinander erfordert. Zwischen Staaten, Völkern und Religionsgemeinschaften erleben wir leider, dass häufig das Tischtuch zerschnitten ist und keinerlei Dialog möglich erscheint. Wie ein Tisch als Machtdemonstration missbraucht werden kann, zeigt sich beim russischen Präsidenten Wladimir Putin, wenn er seine Gäste an einem langen Tisch mit sechs Meter Abstand empfängt. Für Franz von Assisi ist Weihnachten das Gegenbild. Der all-mächtige Gott geht bewusst in die Ohn-Macht, der große Herrscher wird zum wehrlosen Kind. Für uns Menschen wird er, in Armut geboren am Weg, solidarisch mit uns verwundeten und gebrechlichen Menschen. »Seht die Demut Gottes«, seht seinen Dien-Mut, sein Herabkommen auf die Erde! Seht seine Inkarnation, seine Einfleischung, seine Menschwerdung im Kind von Betlehem! Als Erwachsener wird er sich mit vielen an einen Tisch setzen, mit ihnen Feste feiern und sie einladen in die neue Welt Gottes. Er wird sie ermutigen, friedenstüchtig und friedensfähig zu werden. Er wird diese gewaltfreie Haltung durchhalten, auch wenn er selbst Gewalt erfährt und die brachialste Todesform erleidet, die es zu seiner Zeit gab. Was wäre das doch für ein Traum, wenn sich Menschen jüdischen, muslimischen und christlichen Glaubens aus Israel und Palästina dabei in Betlehem, im Haus des Brotes, wie der Ort übersetzt heißt, treffen würden, um miteinander das Brot zu teilen! Wenn sie sich dabei nicht an Tische setzen, sondern schlicht auf den Boden, um in Demut (humilitas) auf dem Humus dieser Erde Menschlichkeit (humanitas) zu üben – als Kinder des einen Vaters, als Geschwister der einen Menschheitsfamilie. Um nichts unter den Tisch fallen zu lassen und sich nicht gegenseitig über den Tisch zu ziehen, sondern auf dem Boden der nackten Tatsachen alte Feindschaften zu beenden und miteinander zu beraten, wie sie »friedensfähig« werden. Franziskus würde jauchzen und lobpreisen, sein Gruß »salus et pax« würde Wirklichkeit, Heil und Frieden bricht an. Salam und Schalom. Die Heilige Nacht würde zur heilsamen Nacht und Betlehem zu einem neuen Greccio. Was wäre das für ein Weihnachtsfest! friedens-tüchtig Stefan Federbusch OFM © PICTURE ALLIANCE – CHRISTOPHE GATEAU
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