7 FRANZISKANER 4|2023 Die Geschichte der Heiligen Nacht wirkt erstarrt. Wie durch eine Kameralinse wird eine Momentaufnahme dieses Ereignisses festgehalten. Die Krippe zeigt ein bewegungsloses Geschehen – und bewegt unzählige Menschen. An vielen Orten wird sie aufgebaut, in Kirchen und Wohnzimmern, weil sie zum Weihnachtsgeschehen dazugehört. Anschaulich gibt sie preis, was Worte nicht auszudrücken vermögen. Jedoch, die Szene wirkt wie eingefroren, ganz und gar nicht lebendig. Maria und Josef in samtenen Gewändern, Maria kniend an der Krippe, dabei müsste sie doch von der Geburt geschwächt sein und schlafen. Josef steht beobachtend im Hintergrund. Das Kind im Futtertrog streckt seine kleinen Ärmchen dem Betrachter entgegen. Die Tiere genießen das Heu und schauen stoisch in die Landschaft. Die Hirten kommen neugierig zum Stall, in ihren Augen ist etwas zu erkennen. Die jungen Hirten sind aufgeregt und eilen schnell herbei. Schafe grasen vor sich hin. Es fehlt: die Einfachheit, die Nüchternheit, das Elend. Aber wer könnte es aushalten, dass Gott im Elend geboren ist? Die Idylle täuscht. Zutiefst spüren wir, dass Gott nur so hat auf diese Erde kommen können: unbehaust und unterwegs – am Rande. Jedes Jahr wird die Krippe wieder aufgebaut. Aus Tradition? Ja! Aus Nostalgie? Ja! Aus Überzeugung? Ja! Weil hinter der Momentaufnahme deutlich wird, dass etwas Größeres geschieht: Gott wird Mensch. In diesem Jahr feiert die Krippe ihren 800. Geburtstag. So zumindest wird es in unserer franziskanischen Lesart überliefert. So stimmt es, und so stimmt es nicht – zumindest nicht zu 100 Prozent. In den Lebensbeschreibungen des Thomas von Celano, einem der wichtigen Biografen unseres Ordensgründers, lesen wir, wie Franziskus sich von dem Geheimnis der Menschwerdung so begeistern lässt, dass er 1223 in Greccio, einem winzigen Ort im Rietital, das Weihnachtsgeschehen neu lebendig werden lässt. Er lässt eine Krippe mit Heu aufstellen, gesellt Ochs und Esel dazu und lässt einen Chor die Botschaft der Nacht singen. So verwandelt sich durch die Inszenierung von Franziskus die Erzählung des Evangelisten Lukas zu einem lebendigen Ereignis, in dem das Geheimnis der Weihnacht aus der Ferne in die Nähe rückt. Unser Gott bekommt Hand und Fuß – und ein Gesicht. Seitdem – vielleicht auch schon etwas früher – gibt es Krippendarstellungen in allen Formen und Variationen: als Kinderkrippenspiel oder schlicht aus Holz. Und ich begreife, wie begeistert Franziskus vom Evangelium der Menschwerdung Gottes war! Er hat es auf die Bühne des Lebens gehoben und mehr als 1200 Jahre nach dem geschichtlichen Ereignis dieses neu inszeniert und die Aktualität der Botschaft lebendig gehalten. Gott wird Mensch. Diese Botschaft muss man kauen, verdauen. Das ist nichts Alltägliches, aber es soll unseren Alltag durchdringen und unserem Leben Hoffnung geben. KRIPPE © KEVIN CARDEN – STOCK.ADOBE.COM | KRIPPENFIGUREN © STOCK.ADOBE.COM Geboren am Weg 800 Jahre franziskanische Krippenfeier in Greccio
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