Eine meiner liebsten Weihnachtsgeschichten ist »Hilfe, die Herdmanns kommen«. Darin beschließt eine Geschwistergruppe, die wir heute wahrscheinlich als randständig bezeichnen würden, am Krippenspiel der Gemeinde teilzunehmen. Ihr Motiv ist keineswegs fromm: Jemand hatte ihnen gesagt, dass man dort Süßigkeiten bekäme. In der Erzählung teilen sie die Hauptrollen unter sich auf. Und aufgrund ihrer relativ offenen Drohung, was passieren würde, wenn jemand anderes es wagen würde, sich auch für die Rollen zu melden, erhalten sie diese auch. Schnell wird klar, dass sie bisher keine auch noch so kleine Berührung mit der Weihnachtsgeschichte hatten. Sie wird ihnen erst einmal erzählt, und ihre Reaktionen schwanken zwischen Fassungslosigkeit, Wut und Mitleid. Warum ich diese Geschichte so mag? Durch den unverstellten Blick dieser Kinder wird klar, dass die Weihnachtsgeschichte so gar nichts Romantisches an sich hat. Das Gleiche kann für die Krippendarstellung gesagt werden, die vor 800 Jahren in Greccio stattfand. Auch sie entstand nicht aus dem Bedürfnis nach Romantik, sondern aus einer doppelten Not: jener der Bevölkerung Greccios und der des Franz von Assisi. Die erste Niederlassung der Franziskaner vor Ort war nicht an der Stelle, an dem heute die kleine Einsiedelei von Greccio liegt, sondern sehr viel höher, circa fünfhundert Höhenmeter über der Ortschaft. Dort befindet sich eine ausgedehnte, bewohnte Hochebene. Für die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Hochebene war es unmöglich, eine der Mitternachtsmessen unten im Tal zu besuchen – auch weil sie ihre Herden nicht verlassen konnten. Franziskus seinerseits scheint sich zu dieser Zeit in einer Art existenzieller Krise befunden zu haben. Er hatte sich nach der Bestätigung seiner 2. Ordensregel, der »bullierten Regel«, durch den Papst am 29. November 1223 nach Greccio zurückgezogen. Der Ort lag nur eine Tageswanderung von Fonte Colombo entfernt, wo er die Ordensregel verfasst hatte, war aber einsamer und schwerer erreichbar. Die Abfassung der endgültigen Form der Regel hatte zwar das Fortbestehen des Ordens gesichert, gleichzeitig aber die Spannungen innerhalb der Brüdergemeinschaft bezüglich der konkreten Umsetzung des Armutsideals des Poverello in all ihrer Härte an die Oberfläche gespült. Die beiden Strömungen, jene die das Ideal in seiner ursprünglichen Form bewahren wollten und jene, die es den veränderten Gegebenheiten anpassen wollten, standen sich relativ unversöhnlich gegenüber und versuchten beide Einfluss auf den Gründer des Ordens zu nehmen. Diese Auseinandersetzungen hatten Franziskus sehr zugesetzt. Die Biografen berichten, sein Gesichtsausdruck sei so düster gewesen, dass keiner der Brüder gewagt habe, sich ihm zu nähern. In dieser Situation beschließt Franziskus, den Weihnachtsgottesdienst an einem Ort zu feiern, der dem ähnlich sah, in dem nach den örtlichen Vorstellungen die Geburt Jesu stattgefunden hat. Etwa zwei Wochen vor Weihnachten bittet er einen Freund, eine Grotte1 nach den Vorgaben der Weihnachtserzählung vorzubereiten, und feiert dort mit der Bevölkerung am Heiligabend die Mitternachtsmesse. Die Begründung, die ihm Thomas von Celano, sein erster Biograf, dafür in den Mund legt, lautet: Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Betlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen. 1 Da zur Zeit Jesu Herdentiere zum Schutz in Grotten gebracht wurden – fest gebaute Ställe für Tiere waren unüblich –, ist eine Grotte für die Weihnachtsfeier gewählt worden. Elisabeth Bäbler ist Franziskanerin von Sießen. Sie lebt derzeit gemeinsam mit einer Mitschwester in Siegen (NRW) und arbeitet dort im Geistlichen Zentrum Eremitage Franziskus. Die Krippenfe
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