12 FRANZISKANER 1|2024 Im Gespräch Die Chancen für eine neue Eine neue, wirklich globale Friedensordnung ist eine der zentralen Voraussetzungen, um die die ganze Menschheit betreffenden Krisen der Gegenwart – Klimaerhitzung, Hungerkatastrophen, Gefährdung der Artenvielfalt, Zunahme von Kriegen und Bürgerkriegen, weltweit stark anwachsende Anzahl von Vertriebenen und Flüchtlingen, zunehmender Zerfall staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen etc. – bewältigen zu können. Doch wie könnte eine solche globale Friedensordnung aussehen und vor allem wie könnte sie geschaffen werden? Wie kann eine Kooperation mit Kriegsgegnern und Vertreter:innen nicht-demokratischer und die Menschenrechte verletzender Staaten aussehen? Zu diesen Themen hat sich unser Redakteur Thomas Meinhardt zu einem Interview mit dem SPD-Außenpolitiker und Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner und dem Autor und ehemaligen UN-Korrespondenten Andreas Zumach getroffen. Überall auf der Welt stehen die Zeichen auf Konfrontation. Es müssen aber dringend Verfahren gefunden werden, um wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, um die globalen Krisen zu bewältigen. Herr Stegner, haben Sie Ideen, welche Schritte man gehen müsste, um zum Beispiel den Krieg in der Ukraine kurz und mittelfristig zu beenden, ohne dass es ein Diktatfrieden Putins ist? Stegner: Zunächst ist wichtig, dass wir in Europa nicht zulassen dürfen, dass mit Gewalt Grenzen verschoben werden. Lassen wir das zu, ist der Krieg nicht nur zurück in Europa, sondern dann wird Krieg überall in der Welt noch mehr als bisher wieder zum Mittel der Politik. Deswegen gibt es die politische, ökonomische, humanitäre und militärische Unterstützung der Ukraine, um genau diese Grenzverschiebung nicht zuzulassen. Dabei finde ich es wichtig, insbesondere die ukrainische Zivilbevölkerung zu schützen. Also beispielsweise Luftabwehrsysteme zu liefern, um Krankenhäuser, Schulen und die Energieversorgung zu sichern. Aber ich bin skeptisch gegenüber Strategien, die sagen, wir müssten nur genügend und immer offensivere Waffen liefern, damit Putin an den Verhandlungstisch gezwungen wird. Ich glaube, eine zweite Gefahr, neben der, dass sich der Krieg zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO ausweitet, ist, dass wir anfangen, uns an Krieg zu gewöhnen. Denn Krieg bedeutet jeden Tag Zerstörung, Tod, Vertreibung, Vergewaltigungen, Traumatisierungen von Menschen. Wir dürfen dies nicht vergessen und diesen Krieg wie ein Schachspiel betrachten und dabei vergessen, dass wir andere Wege finden müssen, diesen Krieg zu beenden, ohne das Putin seine Kriegsziele erreicht. Über Waffen kann jede und jeder öffentlich sprechen, aber über Diplomatie, die nur hinter verschlossenen Türen funktioniert, zu reden, ist sehr viel schwieriger. Es müssen aber dringend Ansätze gefunden werden, wie man vielleicht auch mit kleinen, begrenzten Schritten zunächst wieder eine Perspektive eröffnet, die etwas anderes ist als ein fürchterlicher Abnutzungskrieg. Denn durch immer aberwitzigere Aufrüstungsvorschläge wird kein einziges Problem gelöst – im Gegenteil: Viele werden verschärft. Ich vermute, dass es hinter verschlossenen Türen Versuche der NATO-Staaten gibt, Länder wie China, Indien und andere, die mehr Einfluss auf Russland haben, für Vermittlungsbemühungen zu gewinnen. Herr Stegner, sehen Sie da wirklich realistische Ansätze gerade in Bezug auf die Volksrepublik China? Stegner: Es ist kritisiert worden, dass der Bundeskanzler in Peking mit der chinesischen Regierung gesprochen hat. Aber eines der Resultate war, dass China die Russen öffentlich ermahnt hat, auf die Nukleardrohung zu verzichten. Wir müssen lernen, dass wir auch mit Ländern kooperieren müssen, die unsere Werte nicht teilen – vor allem wenn große Teile der Weltbevölkerung in solchen nichtdemokratisch organisierten Staaten leben. Es ist nicht »Wünsch dir was«, sondern einfach die harte Realität. Und das bedeutet, mit Regierungen zu reden, die nichts tun wollen, um dem Westen Ralf Stegner ist SPD- Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Vorsitzender des Afghanistan- Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages Andreas Zumach ist ehemaliger UN-Korrespondent in Genf, Buchautor und Fachmann für Fragen der internationalen Friedenspolitik
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