Franziskaner - Frühling 2024

13 FRANZISKANER 1|2024 globale Friedensordnung einen Gefallen zu tun, aber die vielleicht trotzdem – schon aus Eigeninteresse – gewillt sein könnten, Einfluss auf Russland auszuüben. Und die damit vermutlich bessere Chancen hätten als wir. Herr Zumach, wie sehen Sie das? Zumach: Es ist das völkerrechtlich legitime Recht der Ukraine, sich gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu verteidigen. Auch die anfänglichen Waffenlieferungen haben sicher dazu beigetragen, dass nicht die ganze Ukraine überrannte wurde, was ja Putins erklärtes Ziel war. Aber ich bin zunehmend skeptisch geworden über die ständige Eskalation bei den Waffenlieferungen, ohne dass es ein klares, politisch definiertes Ziel gibt. Uns haben westliche Militärs schon seit November 2022 gesagt: Dieser Krieg kann nicht militärisch entschieden und auch von keiner der beiden Seiten gewonnen werden. Er kann nur am Verhandlungstisch beendet werden. Meine Wahrnehmung ist, dass auf der politischen Ebene in den westlichen Hauptstädten und in Kiew selbst immer noch an der Illusion festgehalten wird, die Ukraine könne diesen Krieg gewinnen. Das halte ich für eine gefährliche Illusion. Deswegen muss man sehr konkret darüber nachdenken, was denn verhandelt werden kann – territoriale Konzessionen dürfen m. E. nicht verhandelt werden! Aber auf den Tisch müssen alle Erfahrungen von Kriegsbeendigungsprozessen der letzten 80 Jahre. Und diese zeigen uns, dass zunächst höchst geheim sondiert worden ist, nicht unbedingt zwischen den unmittelbaren Kriegsparteien, sondern meist über Dritte. Und erst dann hat man offiziell verhandelt. Die äußeren Akteure, die Einfluss und Druckmöglichkeiten hätten, müssen diese endlich anwenden. Ich glaube, es gibt in Peking eine Debatte zwischen zwei Fraktionen. Die eine sagt, dass es im eigenen Interesse liegt, die internationalen Handelsketten wieder zu sichern, denn die Hauptabsatzmärkte für chinesische Produkte sind Europa und Nordamerika. Und es gibt eine Fraktion, die auf die verschärfte Konfrontation mit dem gesamten Westen setzt. Es wäre daher in unserem Interesse, die erste Fraktion zu stärken. Stegner: Ich glaube, wir haben hier zwei Schlachtfelder: Wir haben ein militärisches Schlachtfeld, und wir haben das Schlachtfeld um die öffentliche Meinung in den westlichen Demokratien. Und niemand sollte glauben, dass der Kampf um die öffentliche Meinung mit einem Machtwort zu gewinnen ist. Nach dem Motto: »Eine Blut-Schweiß- und Tränen-Rede« und dann verstehen die Menschen schon, dass der Verteidigungsetat viel größer werden und beim Sozialen gekürzt werden muss. Das funktioniert nicht in den USA, nicht in Frankreich und auch nicht in Deutschland. Deswegen muss man eine Mehrheit organisieren, indem man verhindert, dass das eine gegen das andere ausgespielt wird. Das Schlimmste, was der Ukraine passieren kann, ist, dass sie den Krieg militärisch verliert und die Unterstützung im Westen verloren geht, weil die öffentliche Meinung sich in diese Richtung bewegt. Es ist wichtig, dass wir begreifen, dass wir mit vielen zu reden haben, die unsere Werte nicht teilen. Politik ist immer auch eine Frage von Interessenvertretung – mit klarem Wertekompass! Ohne geht es nicht. Aber wenn man glaubt, das eine ersetzt das andere, dann wird es gefährlich in der Welt. Deswegen, glaube ich, muss man mit allen Akteuren zusammenarbeiten, jedenfalls an Punkten, an denen man was bewegen kann. Es war immer so, dass Vereinbarungen auch in den schwierigsten Zeiten stattgefunden haben, in Zeiten größter Konfrontation. In Friedenszeiten mit Freunden muss ich nicht über Abrüstung reden, sondern ich muss das tun in Zeiten von Gegnerschaft. Wenn man sich nicht einigt, ist die Alternative keine gute. Bearbeitung: Anna Meinhardt und Thomas Meinhardt © ADOBE FIREFLY – KI GENERATED

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