17 FRANZISKANER 1|2024 seiner Rechtfertigung der Armut, wenn er dem Bischof von Assisi gegenüber feststellt: »Herr, wenn wir irgendwelche Besitztümer hätten, bräuchten wir Waffen zu unserem Schutz. Daraus entstehen Rechtsfragen und Streitereien, und in der Folge wird die Gottes- und Nächstenliebe gewöhnlich vielfach verhindert. Deshalb wollen wir in dieser Welt lieber nichts besitzen.« Angesichts der heutigen kriegerischen Auseinandersetzungen als Kampf um Ressourcen und Rohstoffe, also letztlich als Kampf aus wirtschaftlichen Interessen ist diese Argumentation mehr als plausibel. Franziskus sieht die Grundsünde des Menschen in der Aneignung von Besitz (appropriatio) und die Erlösung in der Selbstenteignung (expropriatio) und in der Solidarität mit den Armen. Angesichts heutiger Konsummuster und Wachstumsideologien und der damit verbundenen ökologischen Fragen eine hochpolitische Einstellung! Gewaltfreiheit in der Kommunikation Eine Aktualisierung können wir auch für den Bereich der Sprache vornehmen. Bei all den Fake News, Hassmails und sprachlichen Verwerfungen in den »sozialen Netzwerken« ist die Weisung von Franziskus – »Und wenn wir sehen oder hören, wie man Böses sagt oder tut oder Gott lästert, dann wollen wir Gutes sagen und Gutes tun und Gott loben, ‚der gepriesen ist in Ewigkeit‘« – ein pazifistisches Gegenmodell gegen jede Form von Gewalt in der Kommunikation. Gewaltfreiheit in der Kirche Modellhaft nicht zuletzt für die Kirche könnten die Strukturen sein, in denen die Gemeinschaft verfasst ist. Die franziskanische Gemeinschaft ist nicht hierarchisch gegliedert, sondern »demokratisch«. Alle Mitglieder sind als »Minderbrüder« gleichrangig, alle Ämter sind »Dienstämter« und werden nur auf Zeit vergeben. Kennzeichen der Bruderschaft sind die Brüderlichkeit, die Besitzlosigkeit und die Gewaltlosigkeit. Für Franziskus ist eine christliche Gemeinschaft nur als macht- und herrschaftsfreie von gleichberechtigten Schwestern und Brüdern vorstellbar. Gewaltfreiheit im Umgang mit Andersgläubigen Franziskus war der Erste, der ein Missionsstatut in seine Ordensregel aufnahm. Es ist geprägt von der Begegnung mit Sultan Malik al-Kamil. Im Jahr 1219 begab sich Franziskus mit einem Mitbruder nach Damiette in Ägypten und wagte es, in einer Kampfpause zwischen den christlichen Kreuzfahrern und dem muslimischen Heer, bis zum Sultan vorzudringen und das Gespräch mit ihm zu suchen. Die positiven Kontrasterfahrungen, die Franziskus mit den Muslimen gemacht hat, möchte er auch bei seinen Brüdern umgesetzt sehen, indem sie zunächst einmal unter den Andersgläubigen in friedvoller Weise leben: »weder zanken noch streiten, sondern um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur untertan sind und bekennen, dass sie Christen sind«. Erst dann, wenn sie sehen, »dass es dem Herrn gefällt, das Wort Gottes verkünden«. Im Lateinischen wird das »unter ihnen« noch deutlicher: inter esse = dazwischen sein. Unter Andersgläubigen zu leben, bedeutet, Interesse zu zeigen, sich füreinander zu interessieren, um miteinander auf die Gottsuche zu gehen und besser zu verstehen, was den anderen umtreibt. Frieden als Utopie? Noch einmal gefragt: Ist die Haltung des Franziskus in der Nachfolge Jesu nicht völlig naiv und realitätsfremd? Wer so denkt, steht in der Gefahr, die Heiligen deshalb auf den Sockel der Unerreichbarkeit zu stellen, um selbst in Passivität verharren zu können. In seiner Radikalität ist das Lebensmodell von Franziskus zutiefst jesuanisch, zutiefst evangeliumsgemäß. Es ist und bleibt Stachel im Fleisch – eine gefährliche Erinnerung an einen, der vorgelebt hat, dass das jesuanische Projekt tatsächlich geht, wenn ich denn gehe und mich traue, es in der von Jesus geforderten Radikalität zu leben. Damit sichtbar wird, was am Eingang der Carceri, der franziskanischen Einsiedelei oberhalb von Assisi, zur Begrüßung steht: »Ubi Deus, ibi pax« = »Wo Gott ist, da ist Frieden«! Franziskus und der gezähmte Wolf. Die moderne Plastik in Gubbio erinnert an eine Erzählung, in der Franziskus der Gewalt in Form eines wilden Tieres begegnet. Der Wolf von Gubbio verkörpert als Sinnbild den »Wolf im Menschen«, die ungesteuerte Aggression, das Gewaltpotenzial, das bereit ist zu töten. Franziskus vermittelt zwischen den Konfliktparteien und tritt der Bestie in einer Haltung der aktiven Gewaltfreiheit entgegen. © PETER SCHICKERT – PICTURE.ALLIANCE.COM
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQ1NDk=