Franziskaner - Frühling 2024

25 FRANZISKANER 1|2024 Geistlicher Wegbegleiter Frühjahr 2024 Stephan Wahl ist katholischer Priester und lebt derzeit in Jerusalem. Er bedient sich der jahrtausendealten Gebetsform des Psalms, mit dessen Hilfe Menschen stets versucht haben, mit Gott ins Gespräch zu kommen und die unbeantworteten Fragen über Leben und Tod, über Warum und Wozu, über Sinn und Unsinn wachzuhalten. Antworten auf diese Menschheitsfragen stehen immer noch aus; vielleicht ist das der Stachel, den Stephan Wahl spürt, um sich so an das Unfassbare heranzuwagen. Warum Naturkatastrophen? Warum Krieg? Warum Missbrauch? Warum Zerbrochenheit und Verlassenheit? Aber auch: Dank für Zuspruch, Ermutigung, Aufbruch und Überraschendes. In der Lyrik von Stephan Wahl kommt zum Ausdruck, was menschlich ist: der Schmerz, das Versagen, das Ringen. »Stephan Wahls Texte sind Ausdruck eines Menschen, der an der Grenze zwischen theologisch-kirchlicher und säkularer Welt lebt und an ihr leidet.« (Wilhelm Bruners). Das macht seine Texte glaubwürdig. Der seit fast zwei Jahren bekannte Psalm »Es ist Krieg«, geboren aus dem Schrecken des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine, wird immer wieder in Gottesdiensten gebetet mit der abschließenden Bitte, den Frieden nicht aufzugeben und als »menschlicher Mensch unter Menschen« zu leben. Ein Psalm, der jede Kriegssituation umfasst, ein Psalm, der in der sehnsuchtsvollen Bitte um Frieden mündet. Sie hast du uns in die Hände gegeben, deine Welt ist die unsrige. In die Hände fallen soll sie nicht den Machthungrigen ohne Gewissen. Nie werde ich verstehen, warum du dem allen nur zusiehst, deine Hand nicht eingreift und die Tyrannen zerschmettert. Mach dich gefasst auf meine zornigen Fragen, wenn wir uns sehen werden, später, in diesem rätselhaften Danach, deinem geheimnisumwobenen Himmel. Dann will ich Antworten, will Erlösung und endgültigen Frieden, jetzt aber will ich nicht aufgeben zu tun, was ich tun kann, damit wir jetzt und auch künftig den Namen verdienen, den wir so selbstverständlich als unseren eigenen tragen, und ehrlich und glaubwürdig und unverhärtet berührbar als menschlicher Mensch unter menschlichen Menschen leben. Stephan Wahl (Quelle: Stephan Wahl, Erwarte von mir keine frommen Sprüche. Ungeschminkte Psalmen © Echter Verlag, Würzburg, 4. Auflage 2023, S. 27–29)

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