27 FRANZISKANER 1|2024 PAPST © PRESSEFOTO ULMER – PICTURE.ALLIANCE.COM; OBEN © WARREN – UNSPLASH.COM »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist!« Cornelius Bohl OFM Papst Franziskus nimmt regelmäßig weltweite oder kirchliche Gedenktage zum Anlass, um auf ihre Bedeutung hinzuweisen, Hinweise zum praktischen Handeln im Alltag zu geben oder auch um politisch Verantwortliche auf ihre spezifischen Aufgaben zum Wohl aller aufmerksam zu machen. Cornelius Bohl beleuchtet in jeder Ausgabe in diesem Jahr eine andere Botschaft von Papst Franziskus mit Anregungen für die persönliche Lebensgestaltung. Ende letzten Jahres hat die Bundesregierung eine »Strategie gegen Einsamkeit« beschlossen. Es ist schon paradox: Noch nie waren wir durch Internet und Social Media so vernetzt wie heute. In Echtzeit kann ich mit zahllosen Menschen rund um den Globus kommunizieren. Aber wohl noch nie haben so viele Menschen auch unter Einsamkeit gelitten wie heute. Treffen kann es jeden und jede jederzeit: nach einem Umzug, durch eine Lebenskrise, nach einer Trennung, dem Tod eines lieben Menschen oder im Alter. Eine Krankheit kann jemanden von heute auf morgen aus allen Bindungen herauskicken. Und umgekehrt: Einsamkeit macht krank. Das haben viele während der Corona-Pandemie brutal erfahren. »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.« Mit diesem Satz aus der Schöpfungsgeschichte (Gen 2,18) hat Papst Franziskus seine Botschaft zum diesjährigen Welttag der Kranken überschrieben. Er erinnert daran, dass der dreifaltige Gott in sich selbst lebendige Beziehung ist. Und nur in lebendigen Beziehungen kann auch menschliches Leben gelingen. Einsamkeit schreit nach Nähe. »Die erste Behandlung, die wir bei Krankheit brauchen, ist eine Nähe voller Mitgefühl und Güte«, schreibt der Papst. »Ich war krank, und ihr habt mich nicht besucht!« (Mt 25,43) Vor diesem Satz des Weltenrichters wird christlicher Glaube sehr schnell konkret: Wer wartet vielleicht auf meinen Besuch im Krankenhaus oder im Pflegeheim, auf einen Anruf oder einfach darauf, dass ich mal eine halbe Stunde Zeit habe? Manchmal reicht schon ein einfaches, aber ehrliches »Wie geht’s dir?«. Einsamkeit ergibt sich aber nicht nur durch ein persönliches Schicksal, sie wurzelt auch in weitverbreiteten gesellschaftlichen Denkmustern. Der Papst kritisiert hier einen Individualismus, der Leistung um jeden Preis verherrlicht und dem »Mythos der Effizienz« frönt. Er werde schnell zu einer »Wegwerfkultur«, in der Menschen nicht mehr zählen, wenn sie durch eine Behinderung, eine Krankheit oder das Alter nicht mehr »nützlich« sind. »Schämt euch nicht für euren Wunsch nach Nähe und Zuwendung!«, ruft der Papst den Kranken zu. »Denkt nie, dass ihr für die anderen eine Last seid. Das Kranksein lädt alle dazu ein, unsere überdrehten Rhythmen zu zügeln und wieder zu uns selbst zu finden.« Einsamkeit macht krank. Sie kann aber auch heilsam sein. Wer »reif für die Insel« ist, möchte einfach nur für sich sein. Auch Jesus zog sich immer wieder allein an einsame Orte zurück (vgl. Mt 14,23; Lk 9,18f.; Joh 6,15). Was für eine Horrorvorstellung, etwa als Flüchtling in einer überfüllten Massenunterkunft keinerlei Privatsphäre zu haben! Es gibt »erfüllte Einsamkeit« (Reinhold Schneider), in der ich ganz bei mir und darum in tiefem Frieden bin. Umgekehrt bleibt auch in der glücklichsten Beziehung ein Stück Einsamkeit. Laut dem Franziskanertheologen Johannes Duns Scotus macht gerade eine ultima solitudo, eine letzte Einsamkeit, die menschliche Person aus. Einsamkeit auszuhalten, ist darum auch eine spirituelle Herausforderung. Jesu Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz offenbart tiefste Not und ist zugleich Ausdruck seiner Nähe zum Vater. Die Erfahrung von Einsamkeit und die Sehnsucht nach Beziehung sind untrennbar verbunden; beides gehört zum Leben. »Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.« (Dietrich Bonhoeffer)
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