Franziskaner - Frühling 2024

30 FRANZISKANER 1|2024 Ein gesellschaftspolitisches Kontrastprogramm Diesem politischen, wirtschaftlichen und kirchlich abgesegneten Sozialgefüge wollten Franziskus und seine Brüder und Schwestern, die selber größtenteils aus dem begüterten Bürgertum oder dem Adel stammten, nicht mehr dienen. Das Evangelium, das sie und viele andere dieser Zeit entdeckten, sprach von anderen Werten des Guten (bonum), denen es zu folgen galt. Die von Franziskus initiierte Lebensform entwickelte sich daher zu einem Kontrastprogramm zur Lebens- und Gesellschaftsordnung der Kommune Assisi. Um einen alternativen Lebensstil zu verwirklichen, zogen sich Franziskus und seine Brüder und Schwestern allerdings nicht aus der Welt zurück, um ein abgelegenes Kloster zu gründen. Im Gegenteil, sie verstanden die Welt als ihr Kloster, in dem sie dem »bonum«, dem Guten, durch ihr Leben dienen wollten. Dies setzte eine Bewusstseinsänderung voraus, die zu einem gewandelten Verständnis der Bedeutung des »bonum« führte. Das »bonum«, wurde nicht mehr im materiellen Besitz, in der gesellschaftliche Dominanz und im finanzwirtschaftlichen Gewinn gesehen. Das »bonum« wurde in den zwischenmenschlichen und empathischen Beziehungen wahrgenommen. Es sollte das Leben fördern, niemanden ausgrenzen, den Hunger stillen, Heilung, Versöhnung und Frieden ermöglichen. Statt dem frühkapitalistischen Kampf zwischen den Ständen und Städten zu dienen, bemühte man sich um gelebte Geschwisterlichkeit, die nicht davor zurückschreckt, auch das Leben der an den Rand gedrängten zu teilen. Von der Aneignung des »bonum«, wechselten die Brüder und Schwestern zur Rückerstattung alles Guten an die Bedürftigen. Ausgiebig berichten die Quellen zum Franziskusleben über die Entstehung der Bruderschaft: Die Brüder und Schwestern verteilten ihr Hab und Gut unter den Armen, waren mit dem Lebensnotwendigen zufrieden und teilten selbst dies mit Bedürftigen. Diesen Gesinnungs- und Standortwechsel allein auf ein soziales Gewissen zurückzuführen, wäre zu oberflächlich. Wie aus den Schriften des Franziskus deutlich wird, ist gerade eine religiöse Umkehr und ein sich immer wieder am Evangelium orientierender Glaube der Auslöser des Standortwechsels. So fordert er seine Brüder, »ob sie nun predigen, beten oder arbeiten, sowohl die Kleriker wie die Laien«, auf: alles Gute »dem Herrn, dem erhabensten und höchsten Gott« zurückzuerstatten »und alles Gute als sein Eigentum« anzuerkennen »und für alles Dank« zu sagen, »ihm, von dem alles Gute herkommt« (NbR 17,5.17). Es wurde zwar verstanden, dass Hab und Gut durch menschliche Arbeit gefördert wird, aber im Letzten wurde es als Gabe Gottes angesehen und sollten diesem zurückerstattet werden. Vor allem der erwirtschaftete Überfluss sollte als Lebensgüter für alle dienen. Diese, auf dem Evangelium fußende, alternative Lebensform der Buße wurde nicht nur von dem inneren Kreis der Brüder und Schwestern um Franziskus und Klara von Assisi gepflegt. Vielmehr entwickelte sie sich zu einer größeren Bewegung und zu einer alternativen Weise des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und religiösen Zusammenlebens. Die Brüder und Schwestern traten aktiv für eine alternative Lebensgestaltung ein. So berichtet zum Beispiel Johannes von Perugia: »Wenn reiche Weltleute bei ihnen vorbeikamen, nahmen die Brüder sie freundlich und wohlwollend auf und luden sie ein, um sie vom Bösen zurückrufen und zum Buße tun ermuntern zu können« (LP 29,1). Das von Gott erhaltene Gut den Ausgegrenzten zurückerstatten Unter dem Leben der Buße, das Franziskus nach der Begegnung mit den Aussätzigen begann, wurden nicht einfach sogenannte Bußwerke, wie zum Beispiel das Fasten, verstanden. Ein Leben der Buße zielte auf die bewusste Veränderung der Lebensweise ab und beinhaltete die Weigerung, das sich etablierende System des einseitigen monitären Gewinnstrebens zu unterstützen, welches mit Waffen verteidigt und durch hohe Mauern geschützt wurde. Franziskus und seine Brüder und Schwestern unterstützen jene, die durch ein Leben der Buße das Gesellschaftssystem verlassen wollten. Ihnen widmet Franziskus, zum Beispiel zwei Briefe, die heute unter dem Namen »Brief an die Gläubigen« bekannt sind. Mit diesen gibt er der damaligen Bewegung, die durch den Glauben zu einem alternativen Lebensstil animiert wurde, eine erste schlichte spirituelle Regel. An sie richtete Franziskus die Einladung zu einem Leben der Geschwisterlichkeit, »die Werke Gottes zu tun (…) durch ein heiliges Wirken, das anderen als Vorbild leuchten soll.« (1 Gl 4-10). Diese Geschwisterlichkeit schließt »Gebrechliche ein« (Erm 17). Ihnen zu helfen bedeutet, das von Gott erhaltene Gut zurückzuerstatten »und nicht für sich zurückzubehalten«. Also eine Umverteilung des Hab und Gut, um für die Armen und eine gerechtere Gesellschaft zu sorgen. Während ein Großteil der Gesellschaft auf der Anhäufung von Kapital in einigen Handelsfamilien, der kriegerischen Expansion und dem Dienst vieler abhängiger Knechte und Tagelöhner beruht, gründen Franziskus, seine Brüder und Schwestern eine andere Lebensform. Diese gründet auf der sozialen Wirklichkeit einer fürsorgenden Geschwisterlichkeit, der gerechten Verteilung von Hab und Gut durch Teilhabe, auf der Integration der Ausgegrenzten und auf dem Verzicht auf Gewalt. Diese von Franziskus initiierte Lebensform hat im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Menschen inspiriert, alternative Lebensformen zu beginnen und neue gesellschaftliche und religiöse Aufbrüche zu gestalten. Im Leben von Franziskus verbinden sich eine religiöse Grundeinstellung mit der existentiellen Erfahrung der Ungerechtigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung. Die Ungerechtigkeiten waren Folgen des systematischen, mit Gewalt durchsetzten Früh-Kapitalismus, der Anhäufung von Reichtum in Händen weniger Privilegierter bei gleichzeitiger Verschuldung und Verarmung einer Mehrheit der Bevölkerung. Das Zusammenwirken der religiösen Erfahrung mit dem Erleben der existentiellen Not vieler bewirkte mehr als das übliche Geben von Almosen und Spenden. Es löste durch den aktiven Standortwechsel eine geschwisterliche, alternative Lebensform aus. Damit stellt sich die franziskanische Bewegung auf dem Boden des gelebten Glaubens in der Nachfolge des Evangeliums auch als aktive sozialkritische Bewegung auf, die alternative Weisen des Umganges mit Hab und Gut wagt.

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