Franziskaner - Frühling 2024

40 FRANZISKANER 1|2024 »Meine« Geschichte als Franziskaner oder des Franziskaner-Werdens ist noch nicht zu Ende erzählt! Doch wenn ich heute versuche, sie irgendwie auf einen Begriff zu bringen, stimmen immer noch die Grundmotive der Lesungen, die ich vor vielen Jahren für meine feierliche Profess ausgesucht habe. Es sind der Jakob des Alten Testamentes, der mit dem Engel um den Segen kämpft, und Petrus in der galiläischen Krise, der in Jesus die Erfüllung aller Sehnsucht gefunden hat und ihm sagt: Du hast Worte des ewigen Lebens! Ich bin als Sohn einer bürgerlichen, westdeutschen Familie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren; mit all dem Schönen, aber vielleicht auch dem Belasteten, das so etwas mit sich bringt. Meine Familie besaß eine mittelständische Tiefbauunternehmung. Später habe ich begreifen gelernt, dass die für mich vertrauten Annehmlichkeiten und Vorteile im Lebensstil vieles waren – nur nicht selbstverständlich. Als jüngstes Kind und einziger Sohn erfüllte ich zu Hause anfänglich die Rolle des kleinen Prinzen. Auf Deutsch: Ich war gesegnet und belastet mit den Erwartungen, einmal den Familienbetrieb übernehmen zu sollen. Im Guten wie im Schlechten drehte sich also ganz viel um mich und meine Leistungen. Als unsere Firma in den 1980er Jahren in die Insolvenz rutschte, erlebte ich, wie der Fotograf von der Hausbank kam, um unser Inventar in dem weitläufigen, weißen Bungalow mit den großen Glasfenstern zu fotografieren. Denn alles, was wir hatten, steckte in der Firma. Bis heute berührt mich die Erinnerung an die Verzweiflung meiner Mutter noch immer. Dank der Hilfe freundlicher Menschen ging es dann aber doch noch mal gut. Erst im Rückblick habe ich verstehen gelernt, dass damals wohl der Same meines großen Misstrauens gegenüber allem Materiellen und die Sehnsucht nach einer tieferen Freude und Sicherheit gelegt wurde, die eigentlich nur ein Leben aus Gott geben kann. Als ich einige Jahre später meine Familie darüber informierte, dass ich gar nicht vorhätte, die Firma zu übernehmen, sondern ernsthaft einen geistlichen Beruf anstrebte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen. Meine Familie bezeichnete letztlich Geistliche pauschal als verkrachte Existenzen mit einer gestörten Sexualität. Dennoch habe ich mich durchgesetzt. Schicksalhaft für mich wurde eine Ministrantenwallfahrt nach Rom mit einem kurzen Zwischenstopp in Assisi. Ich war einfach vollkommen fasziniert von dem jungen italienischen Kaufmannssohn aus dem 13. Jahrhundert, der ohne Besitz einfach nur aus der Liebe zu Gott leben wollte und auch gelebt hat. In seinem Ringen und in seiner Befreiungsgeschichte fand ich mich wieder. Heute muss ich schmunzeln: Es war Liebe auf den ersten Blick, und ich war total verknallt! Die folgenden Jahre im Orden entwickelten sich jedoch zu einer Kette von Ernüchterungen. Als ich anfing, waren wir zunächst noch neun Postulanten. Heute bin ich nicht nur der letzte aus meinem Kurs; tatsächlich machte ich in den nächsten sieben Jahren die Erfahrung, dass alle Mitbrüder, die nach mir eintraten, auch wieder austraten. Und irgendwann kamen überhaupt keine Franziskanische Lebensgeschichten Wie sie wurden, was sie sind … Die Reihe zu franziskanischen Berufungs- und Lebensgeschichten ist als Audio-Podcasts verfügbar. Auf vielen bekannten Podcast-Plattformen wie Spotify oder iTunes und auf ▶▶ www.franziskaner.de sind die fünf bis neun Minuten dauernden Audio-Tracks erhältlich. Wir freuen uns über Likes und Kommentare! Vom »kleinen Prinzen« zum Franziskaner Damian Bieger OFM

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