Franziskaner - Frühling 2024

42 FRANZISKANER 1|2024 In memoriam Ein Mann der Weite Am 26. Januar 2024 kam ein Leben ans Ziel, das 1939 in St. Vit, einem Dorf bei Wiedenbrück, begann und das sich in weltweiten und weltkirchlichen Dimensionen verwirklichte: das Leben des Franziskaners Hermann Schalück. Er war ein Mann der Weite. Das war sein Denken, seine Theologie, seine Spiritualität. Er suchte, stellte Fragen, stellte infrage. Und wenn er eine Spur gefunden hatte, ging er ihr nach, ganz im Sinn von George Bernhard Shaw: »Manche Leute sehen Dinge und fragen WARUM? Ich träume von Dingen, die es nie gab, und frage WARUM NICHT?« 1973 wählten ihn die Brüder der Sächsischen Provinz (Saxonia) zu ihrem Provinzial. Mit 33 Jahren war er der jüngste Provinzial der Saxonia seit 1855. Bei aller globalen Weite verlor Hermann Schalück die Provinz nicht aus dem Blick. Mit aufmerksamer Sorgfalt nahm er sich einzelner Brüder an und begleitete Prozesse und Entscheidungen im Leben der Provinz. Eine seiner großen Stärken war: Er konnte delegieren! Heribert Arens OFM Doch nur die Provinz: Das war ihm zu klein! Es schaute gern über den Tellerrand. »Lokal handeln, global denken« war ihm Leitwort. Das brachte schon sein Amt mit sich: Im Nordosten Brasiliens, in Japan, auf Taiwan, in Hongkong, in Palästina wirkten Brüder der Provinz. Seine Sprachbegabung baute ihm dabei Brücken. In dieser Weite war er ein wichtiger Motor für die Gründung der Interfranziskanischen Arbeitsgemeinschaft (INFAG). Für die vielen franziskanischen Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum hatte er zusammen mit anderen eine Vision: gemeinsam handeln. Aus dieser Vision wurde 1982 die INFAG geboren, der sich schon zu Beginn 82 Gemeinschaften anschlossen und die bis heute lebendig wirkt. Hermanns Spiritualität atmete Weite. Er wusste: Wir leben als Geschwister in der »einen Welt«, in der Schöpfung. Enge im Denken wie im Handeln war ihm zuwider; eine kleine Welt war nicht seine Welt! Diese Weite führte zu seiner Berufung nach Rom in Verantwortung mit weltweiter Dimension: Sekretär für Ausbildung und Studien im Orden, Generaldefinitor, Generalminister und danach in Deutschland Präsident von Missio Aachen. In diesen Diensten förderte er Begegnung und Dialog zwischen den »vielen Wohnungen im einen Haus des Vaters« – beseelt vom Charisma des Franz von Assisi. Dabei leitete ihn ein neues Bild von Kirche und Mission, wie es Papst Paul VI. 1975 in »Evangelii nuntiandi« beschrieb. Dieses Kirchenbild beschreibt nicht mehr eine Kirche, in der es viele Missionen gibt. Vielmehr lebt Kirche in der Mehrzahl, in Ortskirchen, Mission aber in der Einzahl! In den Ortskirchen gibt es nur eine Mission: das Evangelium mit Leben füllen. Im gegenseitigen Respekt sollen die Ortskirchen aufeinander hören und voneinander lernen. Die Weite von Hermann Schalück wurde noch einmal deutlich in der Gründung der franziskanischen Bewegung Vivere, die er wesentlich mit initiierte. So verstand und lebte er Kirche – als Provinzial, als Generalminister, als Präsident von Missio Aachen – als Initiator und vor allem als Franziskaner. Hermann Schalück OFM

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