46 FRANZISKANER 1|2024 © STEFAN FEDERBUSCH Wehret den Anfängen! Stefan Federbusch OFM Es reicht! Die Grenze der Menschenfeindlichkeit ist endgültig überschritten. Nachdem das Recherchenetzwerk »Correctiv« das Geheimtreffen von AfD-Politikern und Mitgliedern der WerteUnion mit Neonazis im vergangenen November aufgedeckt hat, in dem Masterpläne für die Umsiedlung (»Remigration«) ganzer Bevölkerungsgruppen vorgestellt wurden, gingen über zwei Millionen Menschen (bis zum 10.2.2024, Bundesinnenministerium) in vielen Städten Deutschlands auf die Straße. Sie setzten ein klares Zeichen gegen rechtsextremistisches Gedankengut. In München habe ich am 21. Januar mit rund hunderttausend Menschen gegen rechts und für Demokratie und Vielfalt demonstriert. Ein beeindruckendes Bild: Es kamen derart viele Menschen zusammen, dass die Demonstration wegen Überfüllung aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden musste. Es war und ist ein Protest aus der Mitte der Gesellschaft: Leute, seid wachsam, wohin die Entwicklung geht, und seht ihr nicht einfach tatenlos zu! Ja, es ist in Ordnung, wenn Menschen sich Gedanken machen über ihre Identität, ihre Heimat lieben und diese schützen wollen. Identität hat zu tun mit Unterschieden und Abgrenzungen. Aber es ist nicht in Ordnung, in menschenverachtender Weise die Würde anderer zu verletzen, sie auszugrenzen und ganze Bevölkerungsgruppen – selbst diejenigen mit deutschem Pass – deportieren zu wollen. Ja, es ist in Ordnung, wenn Menschen sich fragen, welche Folgen eine starke Zuwanderung von Flüchtlingen etwa auf dem Wohnungsmarkt hat und ob wir überhaupt so viele Menschen in unsere Gesellschaft integrieren können. Aber es ist nicht in Ordnung, nur die uns »genehmen, ökonomisch wertvollen« Menschen aufzunehmen und die nicht erwünschten abzuschieben. Ja, es ist in Ordnung, wenn Menschen über ihre Probleme selbst bestimmen und sich nicht fremd bestimmen lassen wollen von »Besser-Wessies«. Nur werden Hetze und Hassparolen die Probleme gerade nicht lösen, sondern die Spaltung unserer Gesellschaft vertiefen. Ja, es ist in Ordnung, seine Enttäuschung und seinen Frust über fehlende schlüssige Konzepte der etablierten Parteien zum Ausdruck zu bringen. Nur sollten sich alle, die rechtsextremistische Parteien wählen, fragen, ob sie sich ihrer politischen Verantwortung bewusst sind, und diejenigen, die sich von der AfD die Lösung der Probleme erhoffen, die Ereignisse von 1933 vor Augen halten. Ja, es ist in Ordnung, als Christ:innen unterschiedlicher politischer Meinung zu sein. Nicht jede und jeder wird eine multikulturelle und multireligiöse offene und tolerante Gesellschaft für das Idealziel halten. Auch aus franziskanischer Perspektive ist darum zu ringen, wie Freiheit und Gleichheit konkret auszubuchstabieren sind und was Geschwisterlichkeit in der Praxis heißt. Ein gefordertes Parteiverbot sehe ich nicht als sinnvoll an und sollte nur ein letztes Mittel der Demokratie sein, denn es lenkt die Aufmerksamkeit in die falsche Richtung und verstärkt nur die rechten Mythen. Es braucht schlicht eine wache Zivilgesellschaft, die sich den politischen Anbiederungen an rechte Tendenzen widersetzt; die die Brandmauer ist, die zwar verbal noch von Politiker:innen bekundet wird, die aber einzustürzen droht. Wie hieß es auf den Demonstrationsplakaten: »Menschenrechte statt rechte Menschen« – »Bunte Vielfalt statt rechte Einfalt« – »Nie wieder ist JETZT« – »Wir sind die wehrhafte Demokratie!«. Darum: Wehret den Anfängen!
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