8 FRANZISKANER 1|2024 Putin-Freund geschmäht, der die Ukrainerinnen und Ukrainer der brutalen Willkürherrschaft der russischen Militärmaschinerie opfern wolle. Andererseits werden diejenigen, die vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf militärische Abschreckung setzen und mehr Waffenlieferungen zur Verteidigung an die Ukraine fordern, von anderen als Kriegstreiber bezeichnet, die einen Atomkrieg in Europa herausfordern. Erst einmal einander zuzuhören, abzuwägen, die Argumente daraufhin abzuklopfen, was vielleicht weiterführt, auch wenn nicht alles geteilt wird, das ist in der sehr aufgeheizten aktuellen Situation offensichtlich nur schwer möglich. Das musste aktuell auch Papst Franziskus erfahren, als er – wie schon mehrmals zuvor – in einem Interview zu Verhandlungen aufrief, um das schreckliche Leiden der ukrainischen Bevölkerung in diesem grauenvollen Krieg zu beenden. Seine Wortwahl, in der er die ukrainische Regierung zum Hissen der »weißen Fahne« ermutigte, klang für viele nach einer Aufforderung zur Kapitulation. Diese Wortwahl war unglücklich, denn Papst Franziskus ging es, wie er weiter ausführte, nicht um Kapitulation, sondern um einen Waffenstillstand und um Verhandlungen unter der Leitung von Staaten, die sich als internationale Vermittler anbieten. Er wendete sich damit an die Seite, die er für überhaupt ansprechbar hielt und deren Bevölkerung unter diesem Krieg am meisten zu leiden hat. Seine Grundeinschätzung, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann, wird auch von der großen Mehrheit der militärisch verantwortlichen Generäle im Westen geteilt. Doch seine Bitte, in dieser Lage alles zu tun, um weiteres schreckliches und sinnloses Blutvergießen zu stoppen, brachte ihm viele diffamierende und wütende Kommentare aus Politik und Presse besonders in Deutschland ein, ohne dass sich viele überhaupt die Mühe machten, erst einmal nachzuvollziehen, was Papst Franziskus insgesamt gesagt hatte und was er beabsichtigte. Mit den Beiträgen dieser Titelstrecke möchten wir dazu ermutigen, einen Schritt zurückzutreten, zuzuhören, abzuwägen und keine vorschnellen Urteile zu fällen. Wir wollen Anstöße geben, nach Wegen zu suchen, einen gerechten Frieden zu fördern, denn »Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts«. Dies gilt nicht nur für die Kriege in der Ukraine oder in Gaza, die im Fokus der europäischen Öffentlichkeit stehen. Es gilt genauso für die mehr als 50 derzeit weltweit stattfindenden zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Kriege, die in einigen Fällen entsetzlich große Opferzahlen – Tote, Verstümmelte, vergewaltigte Frauen – aufweisen. Doch diese Kriege im Osten der DR Kongo, in Äthiopien, dem Sudan, im Jemen, in Myanmar oder in Syrien – um nur einige zu nennen – spielen in der sogenannten westlichen Welt kaum eine Rolle. Ihre fürchterlichen Auswirkungen durch die Zerstörung der zivilen Infrastruktur, den Zerfall staatlicher Strukturen, den Zusammenbruch jeglicher Sicherheit für die Zivilbevölkerung, das ständige Ausgeliefertsein an die Gewalt krimineller Banden und Warlords, für die Kriegsführung ein Geschäftsmodell ist, kümmert uns im Westen nicht wirklich. Solange dies so ist, können wir kaum die Solidarität des globalen Südens beispielsweise bei Sanktionen gegenüber dem russischen Aggressor erwarten. Die Staaten und auch die Menschen in Afrika, Lateinamerika und Südasien erwarten, dass die westlichen Industriestaaten ihnen endlich auf Augenhöhe begegnen, dass sie als gleichberechtigte Partner anerkannt und ihre Interessen berücksichtigt werden. Eine neue, gerechtere, stabilere und Sicherheit garantierende globale Friedensordnung wird nur dann eine Chance haben, wenn die Interessen der Menschheit insgesamt berücksichtigt werden. Oder, um es mit Papst Franziskus zu sagen, wenn wir uns weltweit als Brüder und Schwestern begreifen, die gemeinsam für das Leben auf dieser Erde verantwortlich sind. Das Schweigen der Waffen ist eine wichtige Voraussetzung, doch Frieden ist noch viel mehr. Frieden ist ein immerwährender Prozess, der die Zunahme sozialer Gerechtigkeit unbedingt einschließt sowie die Schaffung einer Kultur des Friedens zwischen Menschen innerhalb einer Gesellschaft und zwischen Gesellschaften. Frieden umfasst verschiedene Ebenen: eine internationale Friedensordnung mit klaren völkerrechtlich verpflichtenden Regeln, das Leben in Frieden und Sicherheit innerhalb eines Landes garantiert durch Rechtssicherheit und den Frieden in unserem Herzen und die Bereitschaft, in der Familie, mit unseren Nachbarn in Frieden zu leben. Auch der Frieden mit der ausgebeuteten, gering geachteten »Natur« gehört dazu. Alle diese Ebenen beeinflussen sich gegenseitig und eröffnen jeder und jedem, sich auf den für ihn und sie jeweils möglichen Wegen für Frieden einzusetzen – für Christinnen und Christen eine der vornehmsten Aufgaben in der Nachfolge Jesu Christi. Mit den nachfolgenden Beiträgen möchten wir hierzu einige Anstöße geben und Perspektiven eröffnen, die hoffentlich auch etwas Mut machen und Zuversicht vermitteln.
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