9 FRANZISKANER 1|2024 Frieden mit und ohne Waffen Christliche Haltungen zu Krieg und Frieden Stefan Federbusch OFM Wir wähnten uns in Deutschland eher im Frieden, obwohl es 2022 weltweit 26 Kriege gab. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich die Situation auch emotional verändert. Das Grundgefühl der Unsicherheit ist stärker geworden. Zudem ist der Ukraine-Krieg eine große Herausforderung an alle Friedensbewegten, denn er zeigt ein Dilemma auf. Die einen argumentieren für Waffenlieferungen, indem sie das Selbstverteidigungsrecht souveräner Staaten betonen und die ethische Verpflichtung, Menschenleben gegen Aggressoren zu verteidigen. Die anderen argumentieren gegen Waffenlieferungen, da diese den Krieg nur verlängern, das Leid der Bevölkerung vergrößern und noch mehr Menschenleben kosten. Sie sehen ebenfalls die ethische Verpflichtung, Menschenleben zu bewahren, nur halten sie dazu die Gewaltfreiheit und einen gewaltfreien Widerstand für das gebotene Mittel. Im Fall des Ukraine-Krieges kommt hinzu, dass das klassische Schema von Sieger und Besiegten nicht funktioniert. Russland als Atommacht kann letztlich nicht besiegt werden, wird vermutlich aber das für seine Selbstbestimmung und seine Freiheit kämpfende ukrainische Volk auch nicht besiegen können. Die Ukraine kann den Krieg also nicht gewinnen, aber auch nicht verlieren. Welche Optionen bleiben? Biblisch gesehen finden wir die Vision des Propheten Jesaja, »Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden« (vgl. Jesaja 2,2–4 bzw. Micha 4,3). Die Sowjetunion schenkte der UNO 1959 eine Bronzeskulptur eines Mannes, der ein Schwert zu einem Pflug umschmiedet. Sie trägt den Titel »WE SHALL BEAT OUR SWORDS INTO PLOWSHARES«. Es ist ein Selbstauftrag der in den Vereinten Nationen zusammengeschlossenen Völker, ihre Waffen in zivile Produkte zu konvertieren. Heute ist die politische Praxis eher, Frieden durch militärische Abschreckung oder auch durch den Einsatz von Waffen zu schaffen. Auch die jesuanische Botschaft der Bergpredigt gilt vielen als naiv und lebensfremd. Nicht nur Bismarck war der Auffassung, dass sich mit der Bergpredigt keine Politik machen lässt. Jesuanische und konstantinische Friedensethik In den Kirchen spiegelt sich die Auseinandersetzung in der Frage um einen »gerechten Krieg« bzw. »gerechten Frieden« wider. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte sich 2007 für einen konsequenten »Weg der Gewaltfreiheit« ausgesprochen, also darauf, Jesus mit »aktivem Gewaltverzicht« zu folgen. Jesus selbst hat angesichts des römischen Gewaltfriedens (Pax Romana) zu einer Entfeindungsliebe aufgerufen, die Gewalt nicht mit Gewalt beantwortet (vgl. Matthäus 5,38f.), sondern mit überraschenden, unerwarteten, kreativen Reaktionen. Die Christen und Kirchenväter der ersten Jahrhunderte lehnten daher eine Beteiligung am Militärdienst ab. Der bekannteste Kriegsdienstverweigerer ist der heilige Martin von Tours (317–397), der erklärt: »Ich bin Soldat Christi; es ist mir nicht erlaubt zu kämpfen.« Die Gewaltfreiheit hatte für die ersten Christen eine theologische Begründung, denn für sie ist Kirche der Ort, wo sich in Christus, dem Messias die prophetische Friedenshoffnung erfüllt. Es ging also nicht um eine individualethische Gesinnung, sondern darum, als Gemeinschaft der Glaubenden im konkreten – oft gewalthaften – Hier und Jetzt Kirche des Friedens zu sein. Mit der Konstantinischen Wende, als das Christentum Staatsreligion wurde, entwickelte der Kirchenvater Augustinus die Lehre vom gerechten Krieg. Er band eine legitime Kriegsführung an Kriterien: Der Krieg muss in rechter Absicht geschehen; erlaubt ist er nur als letztes Mittel; die Mittel müssen verhältnismäßig sein, und es muss eine begründete Hoffnung auf Erfolg bestehen. Für die Diskussion heute lässt sich folgende Unterscheidung treffen: Die Konzeption des gerechten Krieges schaut vom Krieg auf den Frieden nach dem Motto: Si vis pacem, para bellum – wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor. Dagegen betrachtet die ethische Konzeption des gerechten Friedens vom Frieden her den Krieg nach dem Motto: Si vis pacem, para pacem – wenn du Frieden willst, GRAFIKEN © ADOBE FIREFLY – KI GENERATED
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