Franziskaner - Sommer 2024

Franziskaner Sommer 2024 Weitere Themen: »Nie wieder ist jetzt!« Interview zum Völkischen Nationalismus +++ Vergessene Kriege Zum Beispiel Äthiopien +++ Geistlicher Wegbegleiter www.franziskaner.de Mutter Erde ernährend – endlich – erschöpft

Inhalt Der »Franziskaner« Unser Magazin für franziskanische Kultur und Lebensart erscheint viermal im Jahr und wird klimaneutral auf 100 % Recyclingpapier gedruckt. Sie können es sich kostenlos nach Hause liefern lassen. Deutsche Franziskanerprovinz Provinzialat Frau Viola Richter Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München zeitschrift@franziskaner.de Tel.: 0 89 2 11 26-1 50, Fax: 0 89 2 11 26-1 11 Spenden zur Finanzierung dieser Zeitschrift erbitten wir unter Angabe des Verwendungszweckes »Spende Zeitschrift« auf das Konto der Deutschen Franziskanerprovinz IBAN DE49 5109 0000 0077 0244 09 | BIC WIBA DE 5W Bank für Orden und Mission bei der Wiesbadener Volksbank 4 Nachrichten und Anregungen 6 Mutter Erde • ernährend – endlich – erschöpft • Kurze Faktenübersicht zum Thema Boden • Das Universum zu unseren Füßen • Wie Bodenschutz gelingen kann • Boden darf keine Ware sein • Adam – Adamah 23 Geistlicher Wegbegleiter 27 Botschaft des Papstes 28 Vergessene Kriege Zum Beispiel Äthiopien 32 Franziskanische Geschichte Wer nicht arbeiten kann, soll es lernen! 35 »Nie wieder ist jetzt!« Interview zum Thema »Völkischer Nationalismus und Christentum« 39 In memoriam 40 Was mich bereichert Zen-Meditation 42 Franziskanische Lebensgeschichten Beate Krug OSF 44 Kursprogramm 45 Bruder Rangel kocht 46 Kommentar 47 Impressum und Germanicus auf Reisen SIE SIND GEFRAGT! Welche Inhalte soll die Zeitschrift »Franziskaner« künftig behandeln? Was gefällt Ihnen, was nicht? Unsere Umfrage steht noch bis Ende Juni bereit. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung! ▶ Online-Umfrage: umfrage.franziskaner.de ▶ Ausdruck der Umfrage auf Papier anfordern: Meinhardt Verlag und Agentur, Tel.: 0 61 26 9 25 64 oder per E-Mail: umfrage@franziskaner.de

3 FRANZISKANER 2|2024 »Eine Handvoll Erde …« Während meines Noviziats, dem Einführungsjahr ins Ordensleben, wirkten wir Novizen einmal bei der Gestaltung eines »Schöpfungstags« für Jugendliche mit. An den Ablauf dieses Tages kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. Ein Lied jedoch, das wir damals gemeinsam gesungen haben, ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Der Refrain war ein echter Ohrwurm: Eine Handvoll Erde, schau sie dir an. Gott sprach einst: Es werde! Denke daran! Ich muss bei diesen Textzeilen von Reinhard Bäcker daran denken, dass es im ersten Buch der Bibel, im Buch Genesis, heißt, dass Gott den Menschen aus der Erde des Ackerbodens geschaffen hat (Genesis 2,7). Adam, laut biblischem Schöpfungsmythos der erste Mensch, ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Erdling. Und wie alles Geschaffene, wie alle Lebewesen kommt auch der Mensch nicht fertig zur Welt; er muss erst noch wachsen und (groß) werden. Der Mensch wächst letztlich ein Leben lang – bis er sein Leben zurückgibt in Gottes Hand. Sehr eindrücklich wird dies, wenn es im Beerdigungsritus heißt: »Von der Erde bist du genommen, und zur Erde kehrst Du zurück …« (Genesis 3,19) Und noch ein anderer Gedanke schwingt mit bei der Vorstellung von der Erschaffung des Menschen aus der Erde: Wir Menschen sind wie alle anderen Geschöpfe gewissermaßen aus demselben »Urstoff«. Und da alle Geschöpfe denselben Schöpfer haben, sind wir auch alle auf göttliche Weise miteinander verwandt. Somit gibt es streng genommen keine Umwelt, sondern vielmehr eine Mitwelt, eine Mitwelt voller Mitgeschöpfe – eine zutiefst franziskanische Sichtweise. Von einem geschwisterlichen Umgang der Menschen mit ihren Mitgeschöpfen ist im Alltag leider wenig zu spüren. Viele Menschen verhalten sich so, als ob es noch mehrere Ersatz-Erden gäbe. Ein zukunftsfähiger Lebensstil sieht anders aus! »Eine Handvoll Erde …« – Vielleicht fehlt uns manchmal die nötige Erdverbundenheit? Die Beiträge in der vorliegenden Ausgabe des FRANZISKANER beleuchten die vielfältigen Bedrohungen von »Mutter Erde« in unserer Zeit und gehen der Kostbarkeit der Erde und der Würde des Bodens auf den Grund. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre und schöne Sommermonate! Br. Markus Fuhrmann OFM (Provinzialminister) © R. STEFANEK – STOCK.ADOBE.COM

4 FRANZISKANER 2|2024 Meditationshaus und Kloster in Dietfurt 1660 kamen die Franziskaner nach Dietfurt ins bayerische Altmühltal. Seit 1977 besteht beim Kloster das Meditationshaus St. Franziskus. Es entstand auf Initiative von Victor Löw OFM und Hugo Enomiya Lassalle SJ, jenem Jesuitenpater, der als Zen-Pionier in Europa gilt. Das Meditationshaus Kloster Dietfurt ist das älteste »christliche Zen-Kloster« im deutschsprachigen Raum. In dem Bildungshaus werden Kurse und Seminare in Zen-Meditation, T'ai Chi Ch'uan, Qi Gong, Ikebana, Sakralem Tanz, Musikmeditation und Nuad Phaen Boran angeboten. Zum Meditationshaus St. Franziskus gehört ein Klostergarten, der auf wunderbare Weise Nutzen und Schönheit miteinander verbindet. Es ist eine Oase des Friedens, die seit mehr als dreihundert Jahren nach ökologischen Grundsätzen bewirtschaftet wird. Franziskanerkloster und Meditationshaus | Klostergasse 8 | 92345 Dietfurt | Tel.: 0 84 64 65 2-0 | E-Mail: meditationshaus.dietfurt@franziskaner.de © NATANAEL GANTER OFM Franziskanische Orte entdecken

5 FRANZISKANER 2|2024 Kursübersicht auf Seite 44 Eines unserer Angebote OBEN © STOCK.ADOBE.COM/ MAX MAXIMOV | MITTE © JÜRGEN NEITZERT OFM | UNTEN © FRANCISCANS INTERNATIONAL Pilgern auf dem Hermannsweg vom 1. bis 5. Juli 2024 Einen Fuß vor den anderen setzen Sich auf den Weg machen, den Alltag hinter sich lassen, sich auf Wesentliches beschränken, den Blick frei bekommen für den Augenblick – das kann ein persönliches Abenteuer werden, denn so losgelöst vom Alltäglichen haben auch andere Gedanken, Ideen, Wünsche die Gelegenheit, sich zu zeigen und Raum einzunehmen … Übernachtungen in Haus Ohrbeck, täglich ca. 15 Kilometer mit leichtem Gepäck Anmeldung: Andreas Brands OFM, Haus Ohrbeck bei Osnabrück, Tel.: 0 54 01 33 60, ▶▶ www.haus-ohrbeck.de Bereits seit 2007 ist der »Engel der Kulturen« ein Hoffnungssymbol für den interreligiösen Dialog von Juden, Christen und Muslimen. Er besteht aus einem Kranz, in dem ein Davidstern, Kreuz und Halbmond integriert sind, und so den Engel darstellen. Das soziokulturelle Kunstprojekt wurde von den bildenden Künstlern Carmen Dietrich und Gregor Merten aus Burscheid geschaffen. Sie wollen damit ein Zeichen des Friedens zwischen Religionen und Kulturen setzen. Viele Bodenintarsien, die den Engel darstellen, wurden an religiös und kulturell wichtigen Orten in Deutschland, Bosnien, der Türkei und Israel verlegt. Aus den »Engel-Innenteilen«, die bei der Herstellung der Kränze entstanden, wurde eine Säule gebildet. Am 23. April 2024 wurde das Friedenssymbol provisorisch vor dem Landtag von Nordrhein-Westfalen aufgestellt. Da die Franziskaner das Projekt unterstützen und versuchen, einen endgültigen Aufstellungsort für die Säule in Jerusalem zu finden, war auch Jürgen Neitzert OFM bei der feierlichen Installation in Düsseldorf anwesend. Viele Schulen, aber auch Mitglieder des Landtages mit dessen Vizepräsidentin Berîvan Aymaz sowie dem Innenminister von NRW, Herbert Reul, nahmen ebenfalls an diesem eindrucksvollen interreligiösen Ereignis teil. ▶▶ www.franziskaner.de Die Franziskanische Familie unterstützt UN-Forderungen nach Geschlechtergleichstellung Friedenssäule des »Engels der Kulturen« in Düsseldorf Im März 2024 fand in New York ein großes Treffen der Vereinten Nationen zum Thema Geschlechtergleichstellung und Stärkung der Rolle der Frau statt. In diesem Jahr nahmen auch neun Franziskanerinnen teil (einige von ihnen hier im Bilde mit Vertretern von Franciscans International). Sie engagieren sich zu einer Vielzahl an Menschenrechtsthemen. Obwohl die UN-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, bis 2030 Geschlechtergleichstellung herzustellen, besteht ein jährliches Ausgabendefizit von weltweit 360 Milliarden US-Dollar, um dieses Ziel zu erreichen. Die Kommission empfahl den UN-Mitgliedstaaten, Reformen umzusetzen, die eine progressive Besteuerung, die Durchsetzung grundlegender Arbeitsnormen und neue Strategien für eine nachhaltige Wirtschaft umfassen. ▶▶ www.franciscansinternational.org

6 FRANZISKANER 2|2024 In seinem Gesang der Geschöpfe, uns besser bekannt als »Sonnengesang«, preist Franz von Assisi Gott zunächst durch und mit den kosmischen Elementen, mit Bruder Sonne und Schwester Mond und mit den Sternen. Es folgen die vier irdischen Elemente von Schwester Luft, Schwester Wasser, Bruder Feuer und Schwester Erde. Die Erde ist das einzige Element, bei dem es nicht beim geschwisterlichen Titel bleibt. Sie ist uns nicht nur Schwester, sie ist zugleich und ganz wesentlich Mutter. Sie ist das gebärende Element, das alles Leben hervorbringt. Franziskus nennt trotz seiner Tierliebe nur die Pflanzen in Form von Früchten, Blumen und Kräutern. Sie dienen »uns« als Nahrung. Dieses »uns« schließt neben den Menschen auch die Tiere ein. Das deutsche Wort er-halten lässt sich in doppelter Weise fassen. Die Erde erhält uns durch die Nahrungsketten, an deren Ende wir Menschen stehen. »Der eine lebt vom andern, für sich kann keiner sein.« Leben ist letztlich nur auf Kosten der anderen möglich. Allein die Tatsache, dass wir Nahrung benötigen und dafür anderes Leben töten, impliziert Gewalt. Gewalt, die sich durch einen bewussten Ernährungsstil zumindest reduzieren lässt. In einem Hymnus im Stundengebet heißt es: »Der Erde Schöpfer und ihr Herr, du hast geschieden Meer und Land; du hast die Flut zurückgedämmt und gabst der Erde festen Grund, dass sie uns sprieße gute Saat und schön sei durch der Blumen Pracht, dass sie, von reifen Früchten schwer, uns Nahrung geb' zur rechten Zeit.« Er-halten bedeutet zugleich Halt geben. Boden unter den Füßen zu haben, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen und der Realität zu stehen, heißt auch im übertragenen spirituellen Sinn, gut geerdet zu sein. Gut gegründet zu sein, ist dann ebenfalls doppelsinnig: Der Grund im Sinne des Bodens trägt und hält mich – und ich habe einen Grund zum Leben, ich verspüre Sinn. In meditativen Übungen ist das Gegründet- und Getragensein ein wichtiger Impuls. Mut ernährend – ©STOCK.ADOBE.COM/RICHARD SEMIK

7 FRANZISKANER 2|2024 Der Grund kann ganz unterschiedlich aussehen. Er kann felsig und steinig sein oder auch sandig. Wenn der Boden nicht versiegelt ist, kann er bewachsen oder erdig sein. »Eine Hand voll Erde schau sie dir an, Gott sprach einst: Es werde – denke daran!« Nimm eine Handvoll kompostierte Gartenerde in die Hand. Denke daran, wie sich im Laufe von Milliarden Jahren durch die Erosion aus den Steinen fruchtbarer Boden gebildet hat. Schau auf die fleißigen Helfer, die Regenwürmer, die aus dem organischen Material der Pflanzen wunderbaren Humus bereiten. Aber mach dir auch die unglaubliche Tatsache bewusst, dass sich allein unter der Fläche einer Schuhsohle mehr Bodenorganismen tummeln, als es Menschen auf der Erde gibt, und dass auf nur einem Hektar (= 10.000 Quadratmeter) Ackerboden alle lebenden Organismen zusammen ein Gewicht von bis zu fünf Tonnen erreichen. Heruntergebrochen auf einen Teelöffel Boden können in dieser kleinen Menge allein eine Million Bakterien, 120.000 Pilze und 25.000 Algen zu finden sein. Weltweit leben 1.000.000.000-mal mehr Bakterien im Boden, als es Sterne im Weltall gibt. Dimensionen, die letztlich nicht mehr vorstellbar sind, mich aber gerade darum umso mehr staunen lassen. Franz von Assisi spricht nicht nur davon, dass uns die Erde erhält, sondern dass sie uns lenkt. Wir könnten ergänzen bzw. ersetzen: dass sie uns lehrt. Sie lehrt uns, wie Leben funktioniert. Nur haben wir die Funktion unserer Erde als Lehrmeisterin zunehmend ignoriert und uns zum Umgestalter unseres Planeten gemacht. Aus der Leben gebärenden und Mensch und Tier ernährenden Mutter ist in weiten Teilen eine verwüstete Einöde geworden, die jeglicher Artenvielfalt und Naturschönheit entbehrt. Was lehrt uns Mutter Erde? Biblisch gesehen lehrt sie uns, dass wir »Erdlinge« sind. Denn der Mensch bekam den Namen »Adam«. Nicht als individuellen Namen, sondern als einen Gattungsnamen, der für die ganze Menschheit steht. »Adam« heißt auf Hebräisch einfach »Mensch«. Hörbar ist der sprachliche Gleichklang mit dem hebräischen Wort für »Erde« = »adamáh« (siehe hierzu auch Seite 21). Der Mensch ist ein Wesen aus Erde. Er ist ein Erdling, der nach seinem Tod wieder zurückkehrt in den Staub der Erde. Dessen gedenken wir jedes Jahr am Aschermittwoch, wenn wir das Aschenkreuz empfangen. »Gedenke, Mensch, du bist aus Staub und kehrst zurück zum Staub der Erde.« Stefan Federbusch OFM ter Erde – endlich – erschöpft Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter. Franz von Assisi, Sonnengesang, 1224/1225 Zu lernen wäre daher vor allem Demut. Der lateinische Begriff »humilitas« ist verwandt mit Humus, dem fruchtbaren Mutterboden. Demut zu üben, heißt erdverbunden zu leben, bodenständig zu sein, wertschätzend mit dem kostbaren Gut des (Acker)Bodens umzugehen. Darin drückt sich humanitas, wahre Menschlichkeit aus. Demut ist Dankbarkeit für die geschenkte Erde, für ihre vielfältigen Lebensmöglichkeiten. Inhumanität, Unmenschlichkeit besteht darin, die eigenen Lebensgrundlagen wie den letzten Dreck zu behandeln und kommenden Generationen ihre Lebensmöglichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes zu verbauen, indem immer mehr Fläche versiegelt und einer landwirtschaftlichen Nutzung entzogen wird. Demütig mit der Erde bzw. dem Boden umzugehen, heißt auch, sie nicht völlig zu vernutzen und auszubeuten. Franz von Assisi leitete seine Brüder Gärtner dazu an, stets ein Stück des Gartens für Kräuter und Blumen frei zu lassen. Der Magen lebt von den Gemüsen und Früchten, die Seele aber von der Schönheit und Ästhetik der Farben und Formen.

8 FRANZISKANER 2|2024 KURZE FAKTENÜBERSICHT ZUM THEMA B0DEN ▶ Der Boden ist DER ARTENREICHSTE LEBENSRAUM der Erde. Er ist von unschätzbarem Wert – und für uns Menschen überlebenswichtig. ▶ Gesunde Böden SPEICHERN das TREIBHAUSGAS Kohlstoffdioxid (CO2) – noch mehr, als es Wälder tun. ▶ Böden sind NATÜRLICHE WASSERSPEICHER. Sie können Auswirkungen der Klimakrise wie Trockenheit, Starkregen und Überschwemmungen abmildern – wenn sie nicht versiegelt oder verdichtet sind. ▶ Weltweit haben die Böden 50 bis 80 Prozent ihres Humusgehalts durch Ackerbau und Übernutzung verloren. In der Europäischen Union gelten mittlerweile mehr als 60 PROZENT DER BÖDEN als GESCHÄDIGT. ▶ In Deutschland ist FAST DIE HÄLFTE DER VERKEHRS- UND SIEDLUNGSFLÄCHEN VERSIEGELT. Sie können kein Wasser mehr aufnehmen oder atmen – die biologische Vielfalt stirbt. ▶ Die industrielle Landwirtschaft trägt oft zum VERLUST FRUCHTBAREN BODENS bei. Monokulturen, einseitige Düngung und der Einsatz chemischer Pestizide schädigen das Bodenleben.

9 FRANZISKANER 2|2024 GRAFIK: BODENATLAS 2024, EIMERMACHER/STOCKMAR+WALTER KOMMUNIKATIONSDESIGN (M), CC BY 4.0 § ▶ Es gibt LANDWIRTSCHAFTLICHE PRAKTIKEN, UM BÖDEN ZU SCHÜTZEN und nachhaltiger zu nutzen. Diese müssen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) und des deutschen Bodenschutzrechts stärker gefördert werden. ▶ Ein großer Teil der knappen landwirtschaftlichen Böden wird aktuell für den Anbau von FUTTERMITTELN UND DIE TIERHALTUNG genutzt. Eine Ernährung, die stärker auf pflanzlichen Produkten basiert, kann Flächen sparen. ▶ Getrieben von Klimakrise und industrieller Landwirtschaft trocknen Böden in Europa massiv aus. Diese WÜSTENBILDUNG passiert nicht nur in Afrikas Sahelzone oder den Wüsten Asiens. Bereits dreizehn EU-Mitgliedstaaten beklagen Desertifikation. ▶ Im Zeitraum 2012 bis 2022 wurden weltweit über 1.900 Menschen ermordet, weil sie sich für die Umsetzung von Landrechten engagierten. Ein gerechter Zugang zu fruchtbarem Boden ist entscheidend für die WAHRUNG DER MENSCHENRECHTE wie des Rechts auf Nahrung. ▶ Die Konzentration des Allgemeinguts Boden in den Händen weniger nimmt zu. Weltweit bewirtschaftet nur 1 Prozent der Betriebe mehr als 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Für Investorinnen und Investoren sind Böden eine lukrative GELDANLAGE. ▶ Im Namen des Klimaschutzes wird Land akquiriert. Dieses Land wird häufig von indigenen Gemeinschaften bereits genutzt. Der SCHUTZ VON LANDRECHTEN muss daher integraler Bestandteil zukünftiger Klimapolitik sein. ▶ Weitere Informationen: www.boell.de/bodenatlas

10 FRANZISKANER 2|2024 Während meine Enkeltochter mit nackten Füßen über meine zur Aussaat vorbereiteten Beete läuft, erzählt sie mir, dass sie als Kind geglaubt habe, dass es unendlich viel Erdboden gäbe und dass er nichts besonderes sei. Schließlich sei er immer und überall da gewesen. Ihre eigene Naivität lässt sie grinsen. »Ich dachte, dass die Erde unendlich weit in die Tiefe reicht. Heute weiß ich, dass der fruchtbare Boden mit seinen vielen Lebewesen nur eine dünne Schicht ist, die auf anderen, unbelebten Schichten zum Beispiel Stein liegt, und dass es bis zu 2000 Jahre dauert, bis sich 10 cm guter Boden gebildet hat«, erzählt sie begeistert. Bevor sie sich mit dem Thema beschäftigte, sei in ihrer Vorstellung das, was sich da unten zu ihren Füßen befindet, sogar in gewisser Weise »Dreck« gewesen. »Ihr habt mir früher doch immer gesagt: ›Fass das nicht an, wühle nicht in der Erde rum, mach dich nicht schmutzig!‹«, rechtfertigt sie sich. Jetzt betrachtet der Teenager die Asseln, Springschwänze und Tausendfüßer, die sie unter einem Pflanztopf aufgescheucht hat, fast mit Ehrfurcht. Sie hat in letzter Zeit viel über das Thema »Boden« gelernt und weiß, dass fruchtbare Böden für die Menschheit überlebenswichtig sind. »Alle unsere Nahrungsmittel brauchen letztendlich gute Erde, und außerdem ist der Boden für den Klimaschutz wichtig, denn in gesunden Böden wird mehr CO2 gespeichert als im Wald«, weiß das Mädchen zu berichten, während wir im Garten arbeiten. »Ja«, bestätige ich, »und Böden sind ein knappes, nicht vermehrbares Gut. Daher ist es sehr schlimm, dass weltweit die Bodenfruchtbarkeit abnimmt, während es doch eigentlich für eine wachsende Weltbevölkerung genau andersherum sein müsste.« Als ich sie kurz darauf ins Haus rufe und verlange, dass sie sich die Füße wäscht, flachst sie: «Eben hast du noch gesagt, dass der Boden wertvoll ist und ich ihn nicht mit dem Unkraut wegschmeißen, sondern abklopfen soll, aber so kostbar, dass du ihn im Haus haben willst, ist er dann doch nicht, stimmt's?« Die Grundlage des Lebens Ich lache und freue mich, dass meine »Hilfsgärtnerin« die Erde in meinem Garten als etwas Wertvolles wahrnimmt und darüber staunen kann, dass Böden ein sehr artenreicher Lebensraum sind. »Mindestens ein Viertel aller Lebewesen der Erde ist im Boden zu Hause«, erkläre ich ihr. »Dazu gehören Mikroorganismen, Pilze, Algen und vielerlei Getier wie zum Beispiel die Regenwürmer, meine Freunde und Helfer im Garten. Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Lebewesen ist notwendig, um Böden aufzubauen und zu erhalten. Das, was wir gemeinhin als ›Erde‹ bezeichnen, besteht aus verwittertem mineralischen Ausgangsmaterial, Wasser, Luft und organischer Substanz.« Dass die nicht gerade feucht wirkende Erde trotzdem fast zu einem Viertel aus Wasser und zu einem weiteren Viertel aus Luft besteht, erstaunt das junge Mädchen. »Und das, was du organische Substanz nennst, kommt aus deinem Kompost?«, fragt sie. »Dieses und vieles GRAFIK: BODENATLAS 2024, EIMERMACHER/STOCKMAR+WALTER KOMMUNIKATIONSDESIGN, CC BY 4.0 Das Universum zu Gesunde Böden sind die Grundlage unserer Existenz. Doch sie sind bedroht: Weltweit verschlechtert sich ihr Zustand. Kerstin Meinhardt BODENATLAS 2024 DESTATIS Siedlung Verkehr Landwirtschaft 9,5 % 5,1 % 50,4 % 3,4 Mio. Hektar Wald 29,9 % 10,7 Mio. Hektar sonstiges* 2,8 % 1,8 Mio. Hektar Gewässer 2,3 % 0,8 Mio. Hektar 18,0 Mio. Hektar WAS AUF BODEN STATTFINDET Flächennutzung in Deutschland, 2022 * Gehölz, Heide, Moor, Sumpf, Unland 1 Mio. Hektar Die nördlichen und östlichen Bundesländer haben den größten Anteil an landwirtschaftlicher Nutzfläche. Spitzenreiter ist Schleswig-Holstein mit 68 Prozent.

11 FRANZISKANER 2|2024 mehr, was letzthin alles von Pflanzen und Tieren stammt. Die fleißigen Bodenbewohner gehören auch dazu, sie arbeiten zusammen, damit Humus im Boden entsteht. Dieser Humus und verschiedene mineralische Bestandteile des Bodens speichern Wasser und stellen es mit Nährstoffen den Pflanzen zur Verfügung. Ein gut funktionierender Kreislauf, oder?« Ich will das Mädchen nicht mit Erläuterungen über die langen physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse, die aus totem Gestein fruchtbare Böden machen, überfordern, aber das Wesentliche hat sie begriffen. Ebenso, was jeder Eingriff in dieses perfekte System alles vernichten kann. Am radikalsten wirkt die vollständige Bodenzerstörung bei Flächenversiegelung durch Straßen- oder Gebäudebau. »Da stirbt alles, wenn der Boden zubetoniert wird«, betont meine Enkelin. Und ich mag ihr gar nicht erzählen, dass in Deutschland noch immer Tag für Tag eine Fläche von etwa 55 Hektar für Siedlungsbau und Verkehrsflächen verloren geht. Zudem verringert sich auch bei uns in Deutschland die Fruchtbarkeit unserer Äcker, und die Wüstenbildung nimmt zu. Von den landwirtschaftlichen Flächen in unserem Land weist mehr als ein Drittel eine mittlere bis hohe Erosionsgefahr auf. Zugleich findet die Bedrohung der Grundlage unseres Lebens weltweit statt. Die Böden auf unserem Planeten haben bereits 50 bis 80 Prozent ihres Humusgehaltes durch Ackerbau und Übernutzung verloren. Dass die Technisierung in der Forst- und Landwirtschaft mit immer schwereren Maschinen ihr Übriges GRAFIK: BODENATLAS 2024, EIMERMACHER/STOCKMAR+WALTER KOMMUNIKATIONSDESIGN, CC BY 4.0 unseren Füßen BEITRÄGE ZU GRUNDWASSER, HOCHWASSERSCHUTZ UND VIELEM MEHR Böden als Wasserspeicher BODENATLAS 2024 UBA kleiner Beitrag ✓ ✓ ✓ mittlerer Beitrag ✓ ✓ ✓ hoher Beitrag × kein Beitrag 100 150 0 50 200 cm Bebauung Gestein Humus Mineralboden Gesunde Böden nehmen viel Regenwasser auf. Mit einer ausgeglichenen Porenstruktur speichern sie es wie ein Schwamm und geben es bei Bedarf wieder ab. Durch Versickerung wird unser Grundwasser gespeist. Dabei reinigen Böden das Wasser, indem sie Schadstoffe herausfiltern. Bodenlebewesen wie Pilze und Bakterien können bestimmte Schadstoffe ab- und in ungiftige Verbindungen umbauen. hinzugetan hat, konnten meine Enkelin und ich einige Tage zuvor bei einem Spaziergang im Wald begutachten, wo in tiefen, betonharten Reifenspurrinnen von Harvestern das Wasser stand, während an anderen Stellen nebenan alles längst versickert war. Die verfügbare Menge an fruchtbaren Böden wird durch den unzureichenden Schutz wichtiger Bodenfunktionen fortwährend reduziert. Weltweit gelten sogar 25 Prozent der Böden als degradiert, das heißt, ihre lebensnotwendigen Funktionen sind stark eingeschränkt. Und in der EU sind die Böden in Spanien, Südfrankreich und Italien durch vermehrte Trockenheit von Versteppung bedroht, wie wir sie sonst mit der Wüstenbildung auf anderen Kontinenten in Verbindung bringen. Gesunde Böden sind Wasserspeicher Am Abend sehen wir in den Nachrichten Bilder von Überflutungen. Zum Glück ist es nicht so verheerend wie im Juli 2021. Neben dem großen Leid der Betroffenen in diesen Gebieten muss ich auch daran denken, wie viel fruchtbarer Boden weggeschwemmt wurde oder allein durch ausgelaufene Öltanks kontaminiert wurde. Immer wieder erinnern uns die Extremwetterereignisse an die elementare Bedeutung der natürlichen Bodenfunktionen. In anderen Jahren sahen wir Bilder von gigantischen Staubwolken über Feldern im Osten unseres Landes, wo auf Ackerflächen, die ob ihrer Größe kaum überschaubar waren, weder Hecken, Sträucher noch Bäume dem Wind und damit der Erosion Einhalt bieten. Immer stärker wird sichtbar, dass der fortschreitende

12 FRANZISKANER 2|2024 Klimawandel, der häufig zu hohe Nutzungsdruck, die zunehmende Versiegelung sowie Schadstoffeinträge unsere nicht erneuerbare Ressource Boden und damit unsere Lebengrundlage bedrohen. Gesetzlicher Bodenschutz »Und was tust du dagegen?«, fragt mich meine Enkeltochter. Ich erzähle ihr, dass ich schon früh mit anderen gefordert habe, dass der Boden nach Wasser und Luft als drittes Umweltmedium unter Schutz gestellt wird. Und wie froh wir waren, als dies 1998 mit der Verkündung des Bundes-Bodenschutzgesetzes geschah. Doch in der Realität ist es nicht das umfassende Schutzgesetz, was erhofft war. Es ist mehr ein Gesetz, dass sich um den Umgang mit Altlasten und das Deponieren kontaminierter Böden kümmert. Richtig wäre es, wenn Bodenschutz nicht mehr hinter anderen Fachgesetzen anstehen würde. Vielmehr müsste ein Vorsorgeprinzip gelten, also die Verhinderung von schädlichen Bodeneingriffen. Der Verbrauch von Fläche könnte dadurch begrenzt werden, dass Bodenschutz in einem Ressourcenschutzgesetz einbezogen wird, das die Nutzung von Rohstoffen und den Ressourcenverbrauch Deutschlands gerechter regelt. Die Realität ist, dass sich in dem Vierteljahrhundert seit Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes der Zustand unserer Böden massiv verschlechtert hat. Der aktuelle Bodenzustandsbericht der Bundesregierung geht davon aus, dass im Schnitt jeder Hektar Boden in Deutschland jährlich etwa 200 Kilogramm Kohlenstoff verliert. Neben dem Verlust von fruchtbarem Oberboden und Bodenstruktur ist der oft nur indirekt sichtbare Verlust von Bodenleben und Bodenfruchtbarkeit mindestens genauso alarmierend. Auch europaweit ist es schlecht bestellt um den Bodenschutz. Obwohl die EU zwischen 2014 und 2020 geschätzt rund 85 Milliarden Euro für »nachhaltige Bodenbewirtschaftung« ausgegeben hat, geht es den europäischen Wiesen, Weiden und Ackerflächen schlecht. Laut EU-Kommission sind 60 bis 70 Prozent der europäischen Böden in keinem guten Zustand und verschlechtern sich weiter. Sie können wichtige Funktionen wie Wasserfilterung und -speicherung, Lebensraum für Tausende Arten verschiedenster Lebewesen, Nährstoffspeicher oder als Senke für CO2 nicht mehr erfüllen. Auf europäischer Ebene befassen sich gleich mehrere Strategien mit den Böden: die Europäische Bodenstrategie, die Strategie zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen und die Biodiversitätsstrategie. Doch im Gegensatz zum gesetzlich verankerten Schutz von Klima, Wasser und Luft ist ein umfassender Bodenschutz bislang nicht in eine EU-weite Rechtsform gegossen worden. Ich weiß, dass im Rat der EU gerade in dieser Angelegenheit viel von Deutschland, Österreich und den Niederlanden blockiert wurde. Meiner Enkeltochter erzähle ich davon lieber nichts, und auch nicht, dass aktuell das als umfassendes Bodenschutzgesetz angekündigte EU Soil Health Law zu einem Gesetz zusammenschrumpfte, das nur noch auf ein bloßes Monitoring des Zustandes der Böden abzielt. Biodiversität ist unsere Lebensversicherung »Ich tue, was ich kann«, antworte ich meiner Enkelin auf ihre Frage nach meinem Einsatz für fruchtbare Böden und zähle auf, was ich in meinem Garten mache: dass ich nur torffreie Erde kaufe, keinen synthetischen Dünger anwende und beim Pflanzenschutz auf giftfreie Lösungen setze und dass ich vorhabe, meine Beete künftig im Winter nicht mehr nackt liegen zu lassen, sondern für Dauerbegrünung sorgen will. »Biodiversität ist unsere Lebensversicherung. Nächstes Jahr werden die Bodenlebewesen auch nicht mehr mit der Fräse durcheinandergewirbelt und zum Teil getötet«, verspreche ich. Dass ich heimische, insektenfreundliche Pflanzen aussähe und auch sonst für Insektenschutz und Artenvielfalt sorge, weiß sie. Ebenso bekommt sie mit, dass ich das Meine dazu tue, um weniger Plastikmüll zu produzieren, denn Mikroplastik ist längst in unseren Böden und Gewässern angekommen und stellt nochmals eine ganz eigene Problematik dar. Aber auch mich beschleicht das Gefühl, dass das nicht genug ist. »Ich setze mich auch politisch dafür ein! Zum Beispiel, dass unsere Kommune Feldrandhecken und -gehölze pflanzt und dass das Wiedervernässen von Mooren vorangeht oder die Verschotterung von Vorgärten und Versiegelung von Flächen – so gut es geht – verhindert wird. Und nicht zuletzt unterstütze ich den ökologischen Landbau durch meine Kaufentscheidungen«, beteure ich. »Meinst du, das reicht?«, fragt meine Enkeltochter und guckt mich zweifelnd an. »Mit Gottes Hilfe«, sage ich und weiß, dass es viel Hoffnung braucht bei dem Zustand der Welt. »Ich bin jedenfalls froh, dass ich mich nicht alleine dafür einsetze, sondern dass es viele sind«, antworte ich ihr und bin dankbar, dass sich nun auch schon die Enkelgeneration für einen guten Umgang mit »Mutter Erde« interessiert. BODENATLAS 2024 GDV 50,5 48,4 47,3 47,1 46,8 45,0 44,6 42,1 42,0 41,9 40,9 40,7 36,1 36,0 49,3 44,9 BEBAUT, BETONIERT, ASPHALTIERT Durchschnittlicher Versiegelungsgrad in Siedlungsgebieten je Bundesland, 2023, in Prozent Ob durch Straßen, Häuser oder sonstige Infrastruktur: Versiegelter Boden kann kein Wasser mehr speichern – und ist luftdicht abgedeckt. Das Bodenleben erstickt GRAFIK: BODENATLAS 2024, EIMERMACHER/STOCKMAR+WALTER KOMMUNIKATIONSDESIGN, CC BY 4.0

13 FRANZISKANER 2|2024 Problemfall synthetischer Dünger Seit Beginn des Ackerbaus vor etwa 12.000 Jahren haben Menschen versucht, die Fruchtbarkeit ihrer Anbauflächen zu steigern. Zu diesem Zweck wurde zum Beispiel Mist aus der Viehhaltung, Vogelkot, Asche oder Kompost ausgebracht. Auch das Prinzip der Fruchtfolgen und speziell der Einsatz von Gründüngung mit Leguminosen (Hülsenfrüchte, z. B. Erbsen), die Stickstoff aus der Luft im Boden speichern können, ist schon ab etwa 8.000 v. Chr. belegt. Gemeinsam ist all diesen jahrtausendealten Eingriffen des Menschen zur Steigerung der Erträge, dass sie den Boden nicht dauerhaft schädigten. Gleichwohl kam es auch in früheren Zeiten zur Übernutzung von Flächen – zwischen 1830 und 1870 war der Rückgang der Erträge ein großes Problem in Europa und Nordamerika. Eine zentrale Veränderung im Umgang mit der Düngung des Bodens brachte die Entdeckung der wachstumsfördernden Wirkung von Stickstoff, Phosphaten und Kalium im 19. Jahrhundert durch Justus Liebig. Die ersten Mineraldünger stammten aus dem Bergbau, der wirkliche »Gamechanger« war dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Entdeckung der Herstellung des synthetischen Stickstoffdüngers. Dabei wird unter hohen Temperaturen von bis zu 500 Grad Celsius und hohem Druck künstlicher Ammoniak hergestellt. Dieses energieaufwendige Verfahren ermöglichte es, im großen Stil Dünger zur Verfügung zu stellen, was Erträge auch auf schlechteren Böden versprach. Doch auch hier gilt: Alles hat seinen Preis, was nicht in erster Linie totgedüngte Böden meint. Das Problem ist, dass kein anderer Prozess zur Herstellung von Industriechemikalien größere Emissionen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) verursacht als die Stickstoffdüngerherstellung. Das energieintensive Verfahren steht heute für etwa 5 Prozent des weltweiten Kohlebedarfs und 20 Prozent des industriellen Gasbedarfs. Und: Pflanzen brauchen nicht nur einen Wirkstoff, sondern alle Nährstoffe im jeweils richtigen Verhältnis. Das große Versprechen des Endes des Hungers auf der Welt ist jedenfalls durch künstlichen Mineraldünger nicht einzulösen, zumal Fachleute Alarm schlagen und auf das endliche Vorkommen von Phosphor hinweisen. Ein weiteres Problem liegt in der weltweit ungleich verteilten Herstellungskapazität synthetischen Düngers. Vor allem der Globale Süden ist abhängig von dessen Import. Durch den einseitigen Fokus auf Mineraldünger können sehr saure Böden in manchen von Hunger besonders betroffenen Weltregionen bestimmte Nährstoffe wie Phosphor nicht mehr richtig aufnehmen. Ohne diese wichtigen Nährstoffe sind die Böden nicht fruchtbar, was zwangsläufig zu einer geringeren Nahrungsmittelproduktion führt. Wegen der gestiegenen Preise für Dünger sind auch Lebensmittel deutlich teurer geworden. Besonders betroffen sind afrikanische Länder, in denen Ernährungskrisen auf Schuldenkrisen treffen. Und der Dünger wird auch weiterhin immer teurer werden. Auf dem Markt für Mineraldünger fand seit Anfang der 2000er-Jahre ein starker Konzentrationsprozess statt und hat marktbeherrschende Großkonzerne hervorgebracht, die Rekordgewinne verbuchen. Hochprofitabel ist das Geschäft für die Konzerne auch deshalb, weil in ihren Unternehmensbilanzen die ökologischen Kosten keine Rolle spielen, die durch den Einsatz von Mineraldünger verursacht werden – wie Bodenversalzung, Bodenversauerung und die Nitratbelastung des Grundwassers. Ursächlich ist, dass übermäßig ausgebrachter Stickstoffdünger nicht durch die Pflanzen aufgenommen wird und stattdessen in Grund- und Oberflächengewässer oder die Luft gelangt. Negative Folgen hat dies auch auf die Artenvielfalt, denn die Bodenlebewesen sind nicht an diese Mengen Stickstoff angepasst. Viele Jahrhunderte lang war Stickstoff ein Mangelelement im Boden, heute beträgt der Überschuss an Stickstoff etwa 100 Kilogramm pro Hektar, wie das Umweltbundesamt bestätigt. Der Überschuss kommt natürlich nicht alleine aus der Verwendung synthetischen Stickstoffdüngers, sondern auch aus dem Verkehr, der Industrie und vor allem aus der Tierhaltung. Problematisch sind die synthetischen Stickstoffdünger auch dann, wenn grüne Energie für die Ammoniaksynthese eingesetzt wird. Statt auf Dekarbonisierung der Herstellung zu setzen, wäre es in vielen Fällen kosteneffizienter, klimaverträglicher und nicht zwingend weniger produktiv, wenn deutlich weniger Mineraldünger verwendet würde. Studien an verschiedenen Standorten belegen, dass Erträge sogar gesteigert werden konnten, obwohl im Schnitt ein Viertel weniger eingesetzt wurde. Grundsätzlich anzumerken ist, dass der Einsatz organischen statt synthetischen Düngers mit entsprechenden Anbaumethoden zu einem höheren Humusgehalt und zu einer höheren Bodenqualität führt – vorausgesetzt, das Verhältnis von Tieren zu Ackerland ist nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Fest steht, dass der übermäßige Einsatz von Stickstoffdünger einer der Gründe ist, weshalb weltweit die Bodenfruchtbarkeit abnimmt – neben dem die Bodenlebewesen schädigenden Einsatz von Pestiziden. Um diesen Problemen dauerhaft entgegenzuwirken, braucht es statt neuer Technologie einen Paradigmenwechsel: weniger externe, synthetische Dünger und mehr lokales Nährstoffrecycling durch Kompost und Trockentoiletten, Fruchtfolgen und Gründüngung sowie eine Stärkung agrarökologischer Anbaumethoden. Kerstin Meinhardt

14 FRANZISKANER 2|2024 Herr Schererz, auf Initiative des WWF trafen sich 2016 Landwirte, Naturschützer und Bodenexperten. Sie gehörten zu diesem Gesprächskreis, der mehrmals getagt hat. Ziel war es,Wege jenseits einseitiger Sichtweisen und festgefahrener Konflikte zu finden, um das Thema »Lebendiger Boden« voranzubringen. 2020 wurde das vom Kreis erarbeitete Positionspapier zum Thema Bodenschutz veröffentlicht. »Die gemeinsame Basis für Landbau und Naturschutz ist der lebendige Boden«, hieß es da. Seither hat sich der Konflikt zwischen Naturschutz und konventioneller Landwirtschaft eher verschärft, oder? Jakob Schererz: Der Biomarkt ist durch die vom Krieg gegen die Ukraine ausgelöste Energiekrise und die hohe Inflation komplett zusammengebrochen. Probleme hat aber auch der konventionelle Landbau. Das wurde durch die Bauernproteste über den Winter deutlich. Auf der einen Seite kann ich den Frust der Berufskollegen verstehen. Durch behördliche Auflagen, aber eben auch Vorgaben, die der Lebensmitteleinzelhandel macht, werden wir alle in eine Sackgasse getrieben. Bei der Öko-Verordnung mache ich ganz viel aus einer inneren Überzeugung. Aber bei den sich ständig ausweitenden behördlichen Vorgaben ist das anders. Da muss ich zum Beispiel zu einem bestimmten Zeitpunkt auf dem Acker und aus einer vorgegebenen Richtung ein Foto machen und nachweisen, was ich da tue, und ganz viel mit irgendwelchen Fristen dokumentieren. Der als unsinnig empfundener Aufwand schürt den Frust. Wenn Sie bei konventionellen Landwirtinnen und Landwirten mit den Naturschutzverbänden ankommen, wird ganz viel Unmut laut, und jeder kann irgendwelche absurden Negativbeispiele beitragen. Bei dem von Ihnen erwähnten Arbeitskreis wollten wir es anders machen und haben die verschiedenen Player an einen Tisch gebracht. Wir haben versucht, dem Gegenüber einfach zuzuhören und mal den anderen Blickwinkel einzunehmen. Ich habe viel dazugelernt und meinen Horizont erweitert. Ähnliche Erfahrungen mache ich übrigens gerade bei einem anderen Projekt, bei dem es um die Förderung der Insektenvielfalt im Ackerbau geht (Finka). Da gibt es Betriebspaare – jeweils ein Biobetrieb und ein konventioneller Betrieb –, und der konventionelle Betrieb lässt auf einem Teil seiner Fläche Herbizide, also Pflanzenvernichtungsmittel, und Insektizide, also Insektenvernichtungsmittel, weg. Fungizide, also Pilzvernichtungsmittel, dürfen eingesetzt werden, ebenso darf ganz normal gedüngt werden. Es ist der Versuch, ein bisschen zu reduzieren, quasi eine Bio-light-Variante. Aber das eigentlich Tolle an dem Projekt ist, dass man gemeinsam auf dem Acker des jeweils anderen steht, einen Blick auf die Sachen des anderen hat und darüber ins Gespräch kommt. Ich glaube, das ist einfach ganz wichtig und wertvoll, damit wir gesprächsfähig bleiben. Dieses Herangehen lässt sich auch auf andere Probleme, die unsere Welt gerade beschäftigen, übertragen: Wir müssen Haltung zeigen, aber auch gesprächsfähig bleiben, sonst grenzen wir uns immer mehr ab. Und dafür war der Gesprächskreis wichtig. Hat sich seitdem in Richtung Bodenschutz irgendwas verbessert? In der Koalitionsvereinbarung der Ampel-Regierung waren ja zumindest mal 15 Zeilen zum Thema Bodenschutz drin. Ich hatte das Gefühl, dass das wichtige Thema Bodenschutz angekommen sein könnte. Auch die niedersächsische Landwirtschaftsministerin ist im Herbst 2022 mit der Agenda angetreten, dass sie was beim Bodenschutz machen möchte. Bislang habe ich allerdings noch nichts gehört. Was ich aber sehe, ist, dass man zum Beispiel mit einem Rübenernter auf dem Acker fahren darf. Wenn der voll beladen ist, dürfte er nicht auf der Straße fahren, weil die zulässige Achslast bzw. das Gesamtgewicht überschritten ist. Aber auf dem Acker darf damit gefahren werden. Diese Maschinen haben zwar ganz breite Reifen, dennoch gibt es massive Bodenverdichtung. Die Verdichtung geht in Zwiebelform so weit in die Tiefe, dass sie mechanisch, also mit einem sogenannten Tiefenlockerer oder mit einem Pflug, nicht mehr aufgebrochen werden kann. Das ist nur ein Beispiel, an dem etwas deutlich wird. Wir hatten hier in Norddeutschland im letzten Winter extrem viele Niederschläge. Die haben bewirkt, dass gerade die Böden, die spät abgeerntet wurden und wo nichts Neues drauf ausgesät werden konnte, massiv weggewaschen wurden. Man spricht von Erosion, wenn der Boden durch Wasser oder Wind wegtransportiert wird. In tiefen Rinnen auf den Ackerflächen war zu sehen, wie aus der Fläche Boden durch die Rinnen weggewaschen wurde und irgendwo wieder angelandet ist. Wie Bodenschutz Im Gespräch mit dem Landwirt Jakob Schererz über Methoden, Böden nachhaltig zu bewirtschaften, und über den Konflikt zwischen Naturschutz und Landwirtschaft

15 FRANZISKANER 2|2024 Das erinnerte mich an ein tolles Buch von David Montgomery mit dem deutschen Titel »Dreck«. Der US-Amerikaner beschreibt, wie die Hochkulturen untergegangen sind durch Erosionsereignisse. Die Römer haben zum Beispiel wegen einer wachsenden Bevölkerung zunehmend Hänge entwaldet, um dort Ackerbau zu betreiben. Die Folge war, dass der schlechtere Boden von den Hängen weggewaschen wurde und den guten Boden unten im Tal überlagerte. Allein in Deutschland gehen der Landwirtschaft im Durchschnitt pro Jahr und Hektar zehn Tonnen fruchtbarer Boden durch Erosion und Humusabbau verloren. Dem gegenüber steht ein jährlicher natürlicher Bodenzuwachs von nur etwa einer halben Tonne pro Hektar. Das bedeutet, dass der Boden rund 20-mal schneller zerstört wird, als er nachwächst. Dieses Ungleichgewicht ist schon lange bekannt. Wir treten die Erde buchstäblich mit Füßen! In Deutschland versiegeln wir nach wie vor eine Fläche so groß wie 50 Fußballfelder pro Tag. Im Großen wird irgendwo eine Autobahn oder ein Industriegebiet gebaut. Aber auch im Kleinen handeln wir nicht anders: Wir betonieren unsere Terrasse schön dicht, wir bauen einen Carport und machen gleich noch den Weg dorthin. Es werden Neubaugebiete ausgewiesen, statt zu überlegen, wie wir die bestehenden Gebäude umnutzen können, um den Wohnungsbedarf zu decken. Wie könnten wir denn unsere Böden so bearbeiten, dass es nicht zum Verlust der Bodenfruchtbarkeit kommt? Ich suche für manche Bereiche auch bei uns noch nach einer Lösung. Jeder muss für seinen Boden seine Hausaufgaben machen und das vor dem Hintergrund der Klimaveränderung. Im letzten Jahr hatten wir eine ausgeprägte Frühsommertrockenheit. Wir haben hier die Möglichkeit zu bewässern, also haben wir bewässert. Und dann kommt eine ewig lange Regenperiode während der Ernte, das heißt, die normalen Abfolgen gelten nicht mehr. Wir müssen also überlegen, wie wir unsere Landbausysteme daran anpassen können. Was ich beobachte, ist, dass das Ausbringen von organischem Material – auch in Form von Mist und Gülle – dem Boden was zurückgibt. Die Lebewesen und Organismen, die im Boden sind, nehmen das auf, bauen es um und in Bodenaggregate ein. Dadurch wird der Boden stabiler, Humus wird aufgebaut, die Krümelstruktur wird besser, das heißt, die Wasseraufnahmefähigkeit und -haltefähigkeit steigt. © EVA NEULS gelingen kann Was machen Sie konkret auf dem Bauckhof Stütensen anders, um lebendigen Boden zu erhalten? Unsere sandigen Böden sind verhältnismäßig grobporig. Das Wasser geht einfach durch. Deshalb ist der Humus so wichtig. Humus ist organisches Material, das wie ein Schwamm wirkt, Wasser aufnimmt, Nährstoffe aufnimmt, die Böden fruchtbar macht, sie so verbaut, dass nichts weggewaschen oder weggeweht wird. Unser Ziel ist, dass der Acker immer grün ist. Fruchtfolgen und ihre jeweiligen Nährstoffbedarfe spielen eine Rolle. Durch eine zu einseitige Bepflanzung würden die Böden ausgelaugt. Ich Unser Interviewpartner Jakob Schererz (*1985) zeigt die breite fruchtbare obere Bodenschicht seiner an sich eher sandigen Böden. Der Landwirt ist in Dortmund aufgewachsen und hat seinen Zivildienst auf dem Bauckhof Stütensen gemacht. Zu dem biologisch-dynamischen Betrieb mit 200 Hektar Land gehört eine sozialtherapeutische Einrichtung, in der 46 Menschen mit Assistenzbedarf leben. Nach einer landwirtschaftlichen Lehre im Ökolandbau, bei der er mehr als 60 Betriebe im norddeutschen Raum kennengelernt hat, studierte Jakob Schererz ökologische Landwirtschaft. Heute ist er Geschäftsführer des Demeterhofs Stütensen.

16 FRANZISKANER 2|2024 habe eine mehrgliedrige Fruchtfolge, bei der verschiedene Früchte aufeinanderfolgen, nach einem definierten Muster. Es verändert sich ein bisschen bei den verschiedenen Böden und den verschiedenen Flächen, eigentlich ist das relativ einfach. Dann habe ich zwischen den Kulturen sogenannte Zwischenfrüchte. Welche aus vielfältigen Gemengen bestehen und dann wachsen wenn Lücken in der Fruchtfolge sind. Ich experimentiere gerade damit, inwieweit ich sogenannte Untersaaten ausbringen kann. Kurz bevor die Kartoffeln blühen, säen wir zum Beispiel Lupine dazwischen. Wenn im Sommer die Kartoffeln von Krautfäule befallen werden und absterben, kommt die Lupine ins Spiel. Sie beschattet den Boden, und mit ihren Wurzeln hält die Lupine unsere leichten Heideböden. Dazu verbessert sie deren Struktur, schützt sie vor Erosionen und lagert Stickstoff für die Folgekultur ein. Bei uns ist das Winterroggen. Beim Getreide wird Serradella als Untersaat eingesetzt. Das ist eine Klee-Verwandte, die dann wachsen soll, wenn das Getreide reif wird. Wenn wir den Roggen Ende Juli ernten, dann haben wir meist sehr viel Sonne. Würde der Boden nackt nur mit Getreidestoppeln daliegen, wäre das richtig schlecht. Das verhindert die Serradella. Die Böden schützt auch, dass wir relativ kleine Flächen haben, die rundum mit Hecken bepflanzt wurden. Das unterstützt den Artenschutz, reduziert die Windgeschwindigkeit und erhöht die Taubildung. Aktuell planen wir ein Agroforstprojekt, wo zusätzlich Baumstreifen gepflanzt werden. Außerdem wird bei uns viel kompostiert, das heißt, durch gute Kombination des Materials entsteht unter möglichst idealen Bedingungen fruchtbarer Humus, den wir ausbringen, um damit die Bodenfruchtbarkeit mindestens zu erhalten. Es gibt vom Thünen-Institut, dem wichtigsten landwirtschaftlichen Institut Deutschlands, eine sogenannte Bodenzustandserhebung. Sie besagt, dass auf allen Ackerböden in Deutschland der Humusgehalt abnimmt. Und wenn wir über Klimaleistungen der Landwirtschaft sprechen, dann müssen wir uns vornehmen, mindestens den Humusgehalt zu erhalten, weil wir sonst CO2 oder CO2-Äquivalente in einer Größenordnung freisetzen, die wir nicht wieder gutmachen können. Beim Thema Bodenschutz kommen natürlich noch die Bodenbearbeitungsgeräte hinzu. Bei der Frage nach dem Trecker gilt dann eben nicht »größer ist besser«, sondern wir setzen eher kleinere Maschinen mit geringen Achslasten ein. Achten Sie mal darauf, wenn Sie einen Trecker sehen, der einen Pflug zieht. In der Regel fährt er mit einem Rad in der Furche. Dann geht mehr als die Hälfte des Treckergewichts auf den Boden in der Tiefe, wo er pflügt, also bei 25 bis 30 Zentimetern. Und das ist eine Tiefe, wo die Wurzeln es schwer haben, die Verdichtung aufzulockern. Wir arbeiten mit leichtem Gerät und versuchen, statt tief zu pflügen, nur noch flach zu wenden. Das massive Bewegen tut dem Boden nicht gut. Da ich kein Glyphosat und kein Herbizid einsetze, weil ich gesund mit dem Boden umgehen will, muss ich ihn zwar immer noch ein bisschen umpflügen. Ich bin mit meinem System noch nicht so weit, dass ich es schaffe, komplett vom Pflügen wegzukommen. Aber ich versuche, weniger tief zu pfügen und mit allen vier Rädern oben auf dem Boden zu fahren, den ich danach umdrehe. Das heißt, die Verdichtung geht in den Boden, den ich danach bewege, und wird so quasi wieder aufgelöst. Ist Ökolandbau die Lösung, um dem alarmierenden Verlust an Bodenfruchtbarkeit entgegenzuwirken? VIELE VORZÜGE Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen BODENATLAS 2024 BOSSIO ET AL. Fördert Artenvielfalt, vernetzt Lebensräume. Bietet Erosionsschutz, reichert Wasser mit Nährstoffen an und bindet Schadstoffgase Bäume im Ackerland Wiederbewaldung Fördert die Bodenfauna, führt zu größerer Widerstandsfähigkeit gegen Dürre und verbessert den Wasserrückhalt Schutz des Waldes Verbessert Rückhalt des Wassers und Abflussregulierung des Bodens; fördert biologische Vielfalt. Erhält physikalische Bodeneigenschaften Schutz und Wiedervernässung von Mooren Grünland schützen Dient Hochwasserschutz und hält bei nachhaltiger Bewirtschaftung den Wasserhaushalt aufrecht. Erhält Lebensraum für nistende Vögel Anbau von Deckfrüchten Verbessert Fruchtbarkeit des Bodens. Verringert Wasserbedarf und Erosion Erhält Lebensraum für spezialisierte Arten. Filtert Schadstoffe, schützt vor Überschwemmungen. Stoppt CO₂- Emissionen und speichert Kohlenstoff Klimaschutz erhält nicht nur den Kohlenstoffgehalt im Boden. Er verbessert auch die Artenvielfalt, die Luft, die wir atmen, und das Wasser, das wir trinken. GRAFIK: BODENATLAS 2024, EIMERMACHER/STOCKMAR+WALTER KOMMUNIKATIONSDESIGN, CC BY 4.0

17 FRANZISKANER 2|2024 Klar würde ich sagen: »Ökolandbau nach vorne!« Das wäre im Prinzip die Lösung. Aber im Moment haben wir das Problem, dass der Markt für Bioprodukte zusammengebrochen ist. Unter den Bedingungen wäre daher überhaupt niemandem geholfen, weil »bio« den Leuten zu teuer ist. Natürlich müssen wir uns als Konsumentinnen und Konsumenten fragen: Was ist der richtige Preis für die Produkte? Was nehmen wir für ein Produkt? Die Bio-Kartoffel, wenn die konventionell angebaute Kartoffel weniger als die Hälfte kostet? Wir müssen uns aber auch als Gesellschaft die Frage stellen: »Was kostet es, den Boden wieder aufzubauen, wenn wir ihn einmal verloren haben?« Müsste die günstige Kartoffel nicht teurer werden, wenn die wahren Kosten eingepreist werden? Unter dem Stichwort »True Cost« wird diskutiert, die versteckten Kosten, die wir nicht an der Ladenkasse, aber hinterher für die Behebung der Schäden bezahlen, abzubilden. Wir zahlen sie ja zum Beispiel durch Gebühren für die Wasseraufbereitung oder für Gesundheitskosten letzthin doch. Eine andere Überlegung ist, auf Schadensvermeidung zu setzen und Landwirt:innen für den Schutz unserer Ökosysteme und ihre Leistungen für die Gesellschaft zu entlohnen. Die Zukunftskommission Landwirtschaft der Bundesregierung empfiehlt, dass die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) ab der nächsten Förderperiode auf eine umfassende Koppelung an Gemeinwohlleistungen umgestellt werden muss. Es gibt mittlerweile sogar eine Berechnungsmethode, die die Leistungen bepreist, die Landwirte erbringen für Bodenschutz, Biodiversität und für Wasser und Klima. In diese sogenannte Regionalwert-Leistungsrechnung gehen viele Faktoren ein, wie Fruchtfolge, Nährstoffbilanz etc. Am Ende kommt ein finanzieller Wert der Gemeinwohlleistungen zustande. Bisher rechnen sich nachhaltige Praktiken wie breite Fruchtfolgen, Zwischenfrüchte, Untersaaten, Mischkulturen etc. betriebswirtschaftlich zumindest kurzfristig nicht. Wäre eine an Gemeinwohlleistungen ausgerichtete EU-Agrarpolitik vielleicht eine gerechte, nachhaltige Lösung für die Landwirte, die zugleich unsere Böden schützt? Ich habe bei der Regionalwert-Leistungsrechnung mitgemacht, und es kam raus, dass wir in Stütensen im Jahr 2021 Nachhaltigkeitsleistungen im Wert von knapp 190.000 € erbracht haben. Das Geld ist natürlich nie beglichen worden, es war ja nur eine freiwillige Berechnung. Wenn ich mir vorstelle, dass das staatlich geregelt werden würde und man das alles prüfen und berechnen muss, dann graut es mir. Ich knabbere selbst an der Frage, wie wir nachhaltige und überprüfbare Lösungen finden können, ohne dass es ein Bürokratiemonster wird. Dieses könnten nämlich nur große Betriebe bedienen, die sich jemanden leisten können, der sich den ganzen Tag damit beschäftigt. Kleine Betriebe gehen unter, weil sie das nebenbei nicht gestemmt kriegen. Oder aber die Vielfalt geht verloren, weil der Aufwand zu groß ist. Wir erleben das gerade in der Biodiversitätsforschung, bei der immer mehr nachgewiesen wird, dass zum Beispiel das Aussterben irgendeines kleinen Insektes oder irgendeiner Pflanzenart eine große Bedeutung für einen gigantischen ökologischen Kreislauf haben kann. Es ist wie zum Beispiel bei einem Fahrrad, von dem unterwegs ein Teil abfällt. Das Rad fährt dann vielleicht noch zehn Kilometer, aber irgendwann bricht es komplett weg. Ich bin der Meinung, wir müssten von heute auf morgen mineralischen Stickstoffdünger stark besteuern, also das, was die konventionelle Landwirtschaft extrem nach vorne bringt. Weiterhin müsste ein Zoll auf Eiweiß-Futtermittel eingeführt werden. Das Eiweiß-Futtermittel kommt aus Südamerika, dafür wird dort der Regenwald abgeholz. Es herrschen dort unsägliche Arbeitsbedingungen, und es werden ganz viel Pestizide eingesetzt. Und wir hier in Europa halten viel zu viele Tiere. Auf dem Schlachthof Wietze zum Beispiel werden 24.000 Hähnchen geschlachtet – pro Stunde. Das steht doch in keinem Verhältnis! Und alles, was hier in Mitteleuropa von den Hähnchen nicht gegessen wird, wird nach Afrika verschifft und macht dort die lokalen Märkte kaputt. Das heißt, wir richten Zerstörungen auf drei Kontinenten an mit dem, was wir tun. Weil wir hier viel zu viel Stickstoff haben, der ins Grundwasser geht, ist Deutschland schon mehrfach von der EU-Kommission verklagt worden. Da müssen wir ansetzen! Und wir müssen das so tun, dass es wirksam ist und kein Bürokratiemonster entsteht. Wir dürfen den Bodenschutz nicht mehr vernachlässigen. Boden zu regenerieren, ist jeden Aufwand wert – anstatt ihn mit Füßen zu treten, sollten wir ihn ganz besonders wertschätzen. * Einen weiteren Beitrag zum Thema Bodenschutzmaßnahmen finden Sie auf unserer Website ▶▶ zeitschrift.franziskaner.de HÜLSENFRÜCHTE ALS NATÜRLICHER DÜNGER Treibhauspotenzial von Fruchtfolgen, die auf dem Anbau von Hülsenfrüchten basieren, im Vergleich zu Fruchtfolgen auf Mineraldüngerbasis BODENATLAS 2024 BESTE, IDEL 100 % Mineraldünger Treibhausgasemissionen 36 % Lupinen, Erbsen, Linsen und andere Hülsenfrüchte Knöllchenbakterien an den Wurzeln von Hülsenfrüchten binden Stickstoff aus der Luft und machen ihn für Pflanzen verfügbar. Interview: Kerstin Meinhardt GRAFIK: BODENATLAS 2024, EIMERMACHER/STOCKMAR+WALTER KOMMUNIKATIONSDESIGN, CC BY 4.0

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