Franziskaner - Sommer 2024

13 FRANZISKANER 2|2024 Problemfall synthetischer Dünger Seit Beginn des Ackerbaus vor etwa 12.000 Jahren haben Menschen versucht, die Fruchtbarkeit ihrer Anbauflächen zu steigern. Zu diesem Zweck wurde zum Beispiel Mist aus der Viehhaltung, Vogelkot, Asche oder Kompost ausgebracht. Auch das Prinzip der Fruchtfolgen und speziell der Einsatz von Gründüngung mit Leguminosen (Hülsenfrüchte, z. B. Erbsen), die Stickstoff aus der Luft im Boden speichern können, ist schon ab etwa 8.000 v. Chr. belegt. Gemeinsam ist all diesen jahrtausendealten Eingriffen des Menschen zur Steigerung der Erträge, dass sie den Boden nicht dauerhaft schädigten. Gleichwohl kam es auch in früheren Zeiten zur Übernutzung von Flächen – zwischen 1830 und 1870 war der Rückgang der Erträge ein großes Problem in Europa und Nordamerika. Eine zentrale Veränderung im Umgang mit der Düngung des Bodens brachte die Entdeckung der wachstumsfördernden Wirkung von Stickstoff, Phosphaten und Kalium im 19. Jahrhundert durch Justus Liebig. Die ersten Mineraldünger stammten aus dem Bergbau, der wirkliche »Gamechanger« war dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Entdeckung der Herstellung des synthetischen Stickstoffdüngers. Dabei wird unter hohen Temperaturen von bis zu 500 Grad Celsius und hohem Druck künstlicher Ammoniak hergestellt. Dieses energieaufwendige Verfahren ermöglichte es, im großen Stil Dünger zur Verfügung zu stellen, was Erträge auch auf schlechteren Böden versprach. Doch auch hier gilt: Alles hat seinen Preis, was nicht in erster Linie totgedüngte Böden meint. Das Problem ist, dass kein anderer Prozess zur Herstellung von Industriechemikalien größere Emissionen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) verursacht als die Stickstoffdüngerherstellung. Das energieintensive Verfahren steht heute für etwa 5 Prozent des weltweiten Kohlebedarfs und 20 Prozent des industriellen Gasbedarfs. Und: Pflanzen brauchen nicht nur einen Wirkstoff, sondern alle Nährstoffe im jeweils richtigen Verhältnis. Das große Versprechen des Endes des Hungers auf der Welt ist jedenfalls durch künstlichen Mineraldünger nicht einzulösen, zumal Fachleute Alarm schlagen und auf das endliche Vorkommen von Phosphor hinweisen. Ein weiteres Problem liegt in der weltweit ungleich verteilten Herstellungskapazität synthetischen Düngers. Vor allem der Globale Süden ist abhängig von dessen Import. Durch den einseitigen Fokus auf Mineraldünger können sehr saure Böden in manchen von Hunger besonders betroffenen Weltregionen bestimmte Nährstoffe wie Phosphor nicht mehr richtig aufnehmen. Ohne diese wichtigen Nährstoffe sind die Böden nicht fruchtbar, was zwangsläufig zu einer geringeren Nahrungsmittelproduktion führt. Wegen der gestiegenen Preise für Dünger sind auch Lebensmittel deutlich teurer geworden. Besonders betroffen sind afrikanische Länder, in denen Ernährungskrisen auf Schuldenkrisen treffen. Und der Dünger wird auch weiterhin immer teurer werden. Auf dem Markt für Mineraldünger fand seit Anfang der 2000er-Jahre ein starker Konzentrationsprozess statt und hat marktbeherrschende Großkonzerne hervorgebracht, die Rekordgewinne verbuchen. Hochprofitabel ist das Geschäft für die Konzerne auch deshalb, weil in ihren Unternehmensbilanzen die ökologischen Kosten keine Rolle spielen, die durch den Einsatz von Mineraldünger verursacht werden – wie Bodenversalzung, Bodenversauerung und die Nitratbelastung des Grundwassers. Ursächlich ist, dass übermäßig ausgebrachter Stickstoffdünger nicht durch die Pflanzen aufgenommen wird und stattdessen in Grund- und Oberflächengewässer oder die Luft gelangt. Negative Folgen hat dies auch auf die Artenvielfalt, denn die Bodenlebewesen sind nicht an diese Mengen Stickstoff angepasst. Viele Jahrhunderte lang war Stickstoff ein Mangelelement im Boden, heute beträgt der Überschuss an Stickstoff etwa 100 Kilogramm pro Hektar, wie das Umweltbundesamt bestätigt. Der Überschuss kommt natürlich nicht alleine aus der Verwendung synthetischen Stickstoffdüngers, sondern auch aus dem Verkehr, der Industrie und vor allem aus der Tierhaltung. Problematisch sind die synthetischen Stickstoffdünger auch dann, wenn grüne Energie für die Ammoniaksynthese eingesetzt wird. Statt auf Dekarbonisierung der Herstellung zu setzen, wäre es in vielen Fällen kosteneffizienter, klimaverträglicher und nicht zwingend weniger produktiv, wenn deutlich weniger Mineraldünger verwendet würde. Studien an verschiedenen Standorten belegen, dass Erträge sogar gesteigert werden konnten, obwohl im Schnitt ein Viertel weniger eingesetzt wurde. Grundsätzlich anzumerken ist, dass der Einsatz organischen statt synthetischen Düngers mit entsprechenden Anbaumethoden zu einem höheren Humusgehalt und zu einer höheren Bodenqualität führt – vorausgesetzt, das Verhältnis von Tieren zu Ackerland ist nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Fest steht, dass der übermäßige Einsatz von Stickstoffdünger einer der Gründe ist, weshalb weltweit die Bodenfruchtbarkeit abnimmt – neben dem die Bodenlebewesen schädigenden Einsatz von Pestiziden. Um diesen Problemen dauerhaft entgegenzuwirken, braucht es statt neuer Technologie einen Paradigmenwechsel: weniger externe, synthetische Dünger und mehr lokales Nährstoffrecycling durch Kompost und Trockentoiletten, Fruchtfolgen und Gründüngung sowie eine Stärkung agrarökologischer Anbaumethoden. Kerstin Meinhardt

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