28 FRANZISKANER 2|2024 Vergessene Kriege Zum Beispiel Äthiopien Gibt es Auswege aus der Spirale der Gewalt? Krieg in Europa! Für die meisten Menschen in Deutschland markiert der 24. Februar 2022 eine grundlegende Zäsur. Der russische Angriffskrieg war nicht nur ein Schock, so etwas schien im 21. Jahrhundert in Europa eigentlich unvorstellbar. Der sich nun schon über zwei Jahre hinziehende Krieg gegen die Ukraine, die täglichen Bilder der Zerstörungen und die Furcht vor einer Ausweitung oder gar vor einer atomaren Eskalation führen vermehrt zu Hoffnungslosigkeit und so etwas wie gesellschaftlicher Depression. Eine solche Situation ist vor allem für die Menschen in Westeuropa neu, denn die letzten Jahrzehnte waren in der Regel von Frieden, relativer Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und für die meisten auch wachsendem Wohlstand geprägt. Und obwohl diese neuen Bedrohungen für uns in Deutschland noch weitgehend Befürchtungen und nicht Realität sind, prägen sie zunehmend unser gesellschaftliches Leben und vielfach auch den persönlichen Umgang miteinander. Im Globalen Süden sind Gewalterfahrungen Alltagserfahrungen Für die Menschen in großen Teilen der Welt – insbesondere im Globalen Süden – sind Erfahrungen von Krieg und Gewalt, fehlender persönlicher Sicherheit und gesundheitlicher Versorgung, Armut und Perspektivlosigkeit – vom Fehlen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ganz zu schweigen – nicht selten lebenslange oder gar generationenübergreifende Erfahrungen. Und obwohl die Todesopfer, die Zahl der vergewaltigten Frauen, das Ausmaß der Zerstörungen der zivilen Infrastruktur … in einigen Fällen selbst die Verheerungen in der Ukraine übersteigen, wird bei uns nur gelegentlich darüber berichtet. Meist reicht es nur für Randnotizen, selten wird so berichtet, dass Ursachen und Hintergründe zu verstehen sind. »Der Krisenbogen« außerhalb unseres Blickfeldes, so der Hamburger Friedens- und Konfliktforscher Professor Cord Jakobeit, »reicht von Lateinamerika (Mexiko, Kolumbien, Haiti) über Nordafrika (Libyen), die Sahelzone (Mali, Niger, Burkina Faso), die Äquatorregion (Zentralafrikanische Republik, Kamerun, Demokratische Republik Kongo) und Ostafrika (Sudan, Äthiopien, Somalia) bis über den Nahen und Mittleren Osten (neben Israel und Palästina auch Libanon, Syrien und Jemen) nach Süd- und Südostasien (Pakistan, Indien, Myanmar, Philippinen)«. Die Ursachen für die dort gewaltsam ausgetragenen Konflikte sind unterschiedlich. Oft spielt ein Mix verschiedener Faktoren eine Rolle: Ernährungs- und Wirtschaftskrisen, starkes Bevölkerungswachstum, ungleiche Verteilung von Land, Ressourcen und politischer Teilhabe, ethnische und nationalistische Differenzen, autoritäre Herrschaftsstrukturen, weitverbreitete Korruption, Arbeitslosigkeit und fehlende Zukunftschancen, leichte Verfügbarkeit von Waffen und die Instrumentalisierung einheimischer Akteure durch ausländische Staaten oder internationale Konzerne. Äthiopien ist in vielerlei Hinsicht ein Beispiel für die Probleme und Aufgaben in den Konfliktgebieten des Gobalen Südens, wenngleich es gilt, in den jeweiligen Ländern die jeweils spezifischen Ursachen genau zu analysieren. Äthiopien, hoch gelegenes Binnenland in Ostafrika Mit derzeit ungefähr 125 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist Äthopien nach Nigeria (ca. 220 Millionen) der zweitbevölkerungsreichste Staat Afrikas. Das Bevölkerungswachstum entspricht mit 2,5 Prozent dem durchschnittlichen Wachstum in Afrika – allerdings mit sinkender Tendenz. Das Land erlebt seit Jahren ein anhaltendes relativ hohes Wirtschaftswachstum – in den letzten Jahren knapp sieben Prozent –, das aber längst nicht allen zugutekommt. Die Zahl der Hungernden sank in den letzten zwei Jahrzehnten von knapp Thomas Meinhardt OBEN: © PICTURE ALLIANCE / HANS LUCAS | KARTE: MEINHARDT AUF BASIS VON ANGABEN VON IRC EMERGENCY RESCUE
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