33 FRANZISKANER 2|2024 lernen! Gebettelt werden durfte nur im Notfall »Keiner der Brüder, an welchen Orten sie auch bei anderen zum Dienen oder Arbeiten sich aufhalten, soll Kämmerer oder Kellermeister sein, noch überhaupt eine leitende Stelle in den Häusern derer innehaben, denen sie dienen. Auch sollen sie kein Amt übernehmen, das Ärgernis hervorrufen oder ihrer Seele Schaden zufügen würde. Sie sollen vielmehr Mindere und allen untergeben sein, die im gleichen Hause sind. Und die Brüder, die arbeiten können, sollen arbeiten und das Handwerk ausüben, das sie verstehen, wenn es nicht gegen das Heil ihrer Seele ist und ehrbar ausgeübt werden kann.« (RnB 7,1–3) Mit diesen Worden ordnen sich Franziskus und seine Bruderschaft in die Arbeitswelt seiner Zeit ein. Um die Bedeutung dieser Anweisung zu verstehen, muss man die von Franziskus benutzte Terminologie beachten. Mit dem deutschen Wort »arbeiten« wird das von Franziskus benutzte lateinische Wort »laborare, laborent« übersetzt. Die Begriffe »laborare, laborent« wurden im Mittelalter benutzt, um damit Handarbeit, insbesondere die Feldarbeit zu bezeichnen. Die mit dem Begriff »laborare« bezeichnete Arbeit wurde normalerweise vom Diener, einem Haussklaven, dem unfreien Bauern oder dem Tagelöhner verrichtet. Dabei handelt es sich meist um schwere, anstrengende und dreckige Arbeit. Diese Arbeit wurde nur von den sozialen Unterschichten geleistet. Darüber hinaus war diese Arbeit wegen einer damaligen Interpretation des Bibeltextes von Genesis 3,17–19 schlecht angesehen. »Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. (…) Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden ...« Handarbeit und vor allem die Feldarbeit wurden deshalb als Folge der Sünde betrachtet, und wer diese verrichten musste, wurde per se als Sünder angesehen. Wenn nun Franziskus diese Terminologie benutzte, um die Arbeit der Brüder zu beschreiben, dann ordnet er sich und seine Brüder in diesen sozial niederen und theologisch als Sünder verachteten Stand ein. Da wird deutlich, dass es Franziskus und seinen Brüdern gerade nicht darum ging, durch die Arbeit reich zu werden. Durch die ausgeübte Arbeit sollte in der Nachfolge Christi das Leben der einfachen Leute, der Tagelöhner und der Armen, geteilt werden, wie es auch im 9. Kapitel der Regel von 1221 deutlich ausgesprochen wird. »Alle Brüder sollen bestrebt sein, der Demut und Armut unseres Herrn Jesus Christus nachzufolgen. Und sie sollen beherzigen, dass wir von der ganzen Welt nichts anderes nötig haben als, wie der Apostel sagt, Nahrung und Kleidung; damit sind wir zufrieden. Und sie müssen sich freuen, wenn sie sich unter unbedeutenden und verachteten Leuten aufhalten, unter Armen und Schwachen, Kranken und Aussätzigen und Bettlern am Wege.« (NbR 9,1–2) Die regelmäßige Arbeit mit und unter den unbedeutenden Leuten sollte eben nicht dem wirtschaftlichen Erfolg und dem monetären Gewinn dienen. Vielmehr diente die Arbeit, dem Verständnis des Evangeliums folgend, der Solidarität mit den Verachteten und den durch den entstehenden bürgerlichen Kapitalismus Benachteiligten und Verarmten. Wurde ihnen ein lebenswürdiger Lohn verweigert, sollten die Brüder, Johannes-Baptist Freyer lehrte als Professor für Theologiegeschichte und Franziskanische Theologie an der Päpstlichen Universität Antonianum in Rom. Von 2005 bis 2011 war er Rektor dieser Universität. Heute ist er Referent für franziskanische Grundsatzfragen an der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn, »Franziskaner Helfen«.
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