36 FRANZISKANER 2|2024 gegen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus usw. Es ist enorm wichtig, dass Kirchen und Christenmenschen sich da positionieren, weil sie einen Unterschied machen. Das ist für mich auch in den vielen Protestaktionen unter dem Motto »Nie wieder ist jetzt« zu sehen. Gerade bei Aktionen in kleineren Städten waren die Kirchengemeinden ein entscheidendes Sprachrohr bei den Aktionen gegen rechts außen; hier macht ihre Beteiligung oder Nichtbeteiligung einen großen Unterschied. Das Entscheidende ist aus meiner Sicht, dass durch diese breit verankerten Kundgebungen viele aus ihrer Lethargie herausgekommen sind. Gerade Menschen, die nicht ständig engagiert sind, sind jetzt in großer Zahl auf die Straße gegangen und haben erlebt, dass sie gar nicht so alleine und machtlos sind. Und ich glaube, daraus kann richtig etwas entstehen, wenn es gelingt, hieraus eine nachhaltige Bewegung zu entwickeln. Welche Relevanz hat hierfür die erwähnte Erklärung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz? Ich bin sehr dankbar für die Klarheit der Erklärung. Die Bischöfe sind damit auch ins Risiko gegangen. Aber es ist wichtig, diese Klarheit und Einstimmigkeit zu zeigen. Eine Frage ist: Was gehen alle Bischöfe – auch die sehr konservativen Bischöfe – mit? Bedeutsam in dem Kontext ist, um welche Begriffe ringt man? Wir haben über Rechtspopulismus und Rechtsextremismus gesprochen, aber es geht auch viel um den Begriff des Konservativen. Was ist konservativ, und wer bestimmt das? Und da würde ich sagen, dass die Kirchen auf jeden Fall relevant sind. Wie schätzen Sie die Bedeutung dieser rechten Positionen in den Kirchen selber ein? Dafür ist ein Blick in die Kirchengeschichte sinnvoll. Die evangelische Kirche beispielsweise war vor dem Ersten Weltkrieg eine tragende Säule des Kaiserreichs. Und auch zwischen den Weltkriegen waren die »Deutschen Christen« die dominante Fraktion in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wenn man dies berücksichtigt, versteht man, woher dieses Gedankengut zum Beispiel bei den »Christen in der AfD« kommt, die ich in gewisser Weise in der Tradition der »Deutschen Christen« sehe. Hier wird eine offensive völkische Umdeutung des Christseins und des Evangeliums versucht. Wir müssen genau hinschauen, wo wir herkommen und warum diese rassistischen, völkischen Bilder massiv in unseren Köpfen verankert sind. Und das ist besonders schwierig im christlichen Umfeld. Christen sehen sich in der Regel als die Guten, deren Kirche – insbesondere die katholische Kirche – grundsätzlich eine internationale sei und von daher gar keine nationalistische Kirche sein könne. Und: Kirche wende sich immer an alle Menschen guten Willens. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Anspruch, gut sein zu wollen, ist wichtig. Man braucht diesen Antrieb durch eine positive Zielrichtung. Aber diese rechtspopulistischen Bilder sind schon sehr lange da und stark in den Köpfen verankert. Und der Antisemitismus ist nun mal eine Erfindung der Kirche in der Abgrenzung zum Judentum. Man kann das nur reflektieren und verlernen, wenn man sich dessen bewusst wird. Und für mich entsteht daraus eine große Verantwortung für die Kirchen. Wenn man genauer hinschaut, dann gibt es bestimmte Brückennarrative, also Erzählungen, die Brücken bilden in den Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Das sind Themen wie Lebensschutz – also Schwangerschaftsabbruch bzw. Lebensschutz von der Befruchtung bis zum natürlichen Tod. Das kann man inklusiv definieren, oder man kann es menschenverachtend definieren. Beim Thema »traditionelles Familienbild« ist die Anschlussfähigkeit sehr groß. Auch mit Blick auf Queerfeindlichkeit und Ablehnung von allem, was nicht der heteronormativen Ordnung entspricht. Da geht es um den Kampf ums Konservative. Diese rechte Strategie, das Konservative für sich einzunehmen, gibt es schon sehr lange. Im Kern geht es um einen völkisch-nationalistischen, ethnisch reinen Staat. Es würde den Kirchen gut anstehen zu sagen: Das ist nicht konservativ, da erhält man nichts, sondern da geht es um die völkische Umdeutung des Christseins. Also konservativ in Ihrem Sinne ist im Grunde eine Einstellung, die sagt: Wir möchten alte, grundlegende christliche Werte und Traditionen erhalten. Dazu gehört Nächstenliebe, Bewahrung der Schöpfung, Frieden, Nachfolge Jesu. Und diese werden dann völkisch, nationalistisch umgedeutet und vereinnahmt. Ist das der Kampf ums Konservative? © RÜDIGER GRÖLZ Großes Interesse am Thema »Rechtsextremismus und Christsein« zeigte sich bei einer
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