37 FRANZISKANER 2|2024 Genau. Wenn man die Bibel liest, dann ist die Bibel an sich ein Zeugnis dieser Konflikte. Man kann konservativ oder progressiv sein und Jesus nachfolgen. Es ist ein Kampf um Werte, bei dem die Frage der Selbst- und Fremdzuschreibung ganz wichtig ist. So wie ich die Bischofskonferenz wahrnehme, würden die Bischöfe auf jeden Fall um konservativ als positiven Bezug kämpfen. Und das sehe ich auch als ihre Aufgabe. Ich würde auch um den Begriff konservativ aktiv kämpfen wollen. Was sind für Sie typische Aussagen und Standpunkte, die man in christlichen Zusammenhängen hört, die nicht mehr konservativ, sondern rechtspopulistisch, rechtsextrem einzuordnen sind? Es gibt viele davon. Oft sind sie strategisch klug gewählt und funktionieren, weil sie irgendwo an der Lebensrealität oder gefühlten Lebensrealität der Menschen andocken. Ein Klassiker ist: »Als Frau kann man sich nicht mehr auf die Straße trauen.« Diesen Satz kann man sehr unterschiedlich hören. Entweder: Frauen sind in dieser Gesellschaft potenziell immer von sexualisierter Gewalt bedroht. Oder man hört: »nicht mehr«. Und wenn man dieses »Nicht mehr« hört, merkt man: Es geht darum, dass allein geflüchtete Männer Gefährder für Frauen sein sollen. Sexualisierte Gewalt ist ein Riesenproblem in dieser Gesellschaft. Doch die größte Gefahr für Frauen sind statistisch gesehen ihr Partner, Expartner bzw. das familiäre Umfeld. Das Perfide an vielen dieser Aussagen ist, dass sie nicht »nur« rassistisch sind, sondern tatsächlich auch eine Verzerrung oder eine völlige Uminterpretation der Realität anbieten. Ein anderes klassisches Beispiel ist: »Die Flüchtlinge nehmen uns die Wohnungen weg.« Natürlich haben wir Wohnungsmangel, und durch Zuzug werden Verteilungskonflikte, die es schon vorher gab, verschärft. Doch diese Aussage verzerrt massiv die Realität und verschleiert die wirklichen Ursachen des Wohnungsmangels wie Fachkräftemangel, hohe Energiepreise, massiv gestiegene Baukosten, lange Genehmigungswege, die deutlich angestiegene Quadratmeterzahl an Wohnraum pro Person und vor allem eine verfehlte Wohnungspolitik in den letzten Jahrzehnten, die zum weitgehenden Erliegen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus geführt hat. Mit solchen Aussagen geht es nicht um Lösungen für ein Problem, sondern darum, die Schwächsten zu Sündenböcken zu machen. Man müsste stattdessen neuen Wohnraum und auf dem Land eine bessere Infrastruktur schaffen, damit nicht alle in die Großstädte ziehen usw. Oft docken diese Aussagen an einem Gefühl der Ungerechtigkeit an. Und es ist dann auch Aufgabe der Kirche, der Christenmenschen zu überlegen, wie man diese tatsächlichen Ungerechtigkeiten bearbeitet. Die absoluten Klassiker im christlichen Kontext sind homophobe Aussagen, die man immer durch zwei, drei Bibelstellen »belegen« kann. Da braucht man keine rechtspopulistischen Agitationen von außen, das kommt von innen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: »Es ist menschenverachtend.« Aber lange Zeit wurde einfach nur gesagt: »Das soll uns doch vor dem Teufel retten!« Da werden Argumente von den Füßen auf den Kopf gestellt: »Wir beten doch nur für die verirrten Seelen, die diese unnatürlichen Neigungen haben« usw. Um was geht es bei diesen Auseinandersetzungen? Um die korrekte Interpretation von Bibelstellen? Die Bibel ist ein vielfältiges und in Teilen widersprüchliches Buch. Will man bestimmte Aussagen verstehen, muss man sich den Kontext anschauen und was eine bestimmte Aussage zur Zeit ihrer Entstehung bedeutet hat. Ich finde es gut und wichtig, wenn sich die Kirchen auf diese Widersprüchlichkeiten einlassen und versuchen, sie einzuordnen und Orientierungen zu geben, wo Menschen diese suchen. Es gibt beispielsweise einen durchaus relevanten Teil von jungen Menschen, die sagen: »Ich will eine ganz traditionelle Familie haben. Und warum bin ich weniger wert, wenn ich Hausfrau bin?« Lange konnte ich mit solchen Aussagen wenig anfangen, da ich dachte, es ist doch toll, wenn man die Freiheit hat, Familie und Beruf zu vereinbaren. Doch seit ich Vater bin, weiß ich, dass es nicht so einfach ist, weil beides nicht wirklich gut miteinander vereinbar ist. Ich finde, man muss aufpassen, Menschen nicht abzuwerten, nur weil sie nicht genauso leben und denken wie man selber, sonst überlässt man sie den rechten Demagog:innen. Doch gleichzeitig muss man von ihnen einfordern, dass sie sich nicht menschenverachtend verhalten. Das gelingt nur, wenn wir uns alle auf Augenhöhe begegnen. Diese gemeinsamen Veranstaltung der beiden Idsteiner Kirchengemeinden mit pax christi
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