Franziskaner - Sommer 2024

38 FRANZISKANER 2|2024 Augenhöhe herzustellen, ist eine große Herausforderung. Und dies gelingt leichter, wenn es auch Gemeinsamkeiten gibt, an die man anknüpfen kann. Solche Orte waren früher und sind es in Teilen auch heute noch Kirchengemeinden, wo Menschen zusammentreffen, die etwas gemeinsam haben, die aber aus unterschiedlichen Milieus und »Blasen« kommen. Wir sollten die Chancen nutzen, auch Menschen aus ganz anderen Blasen dort zu begegnen, auch um produktiv zu streiten. Denn es gibt wenige andere Orte, wo man das so einfach organisieren kann wie im kirchlichen Kontext. Was sollte man tun, wenn man rechtspopulistische Aussagen hört? Auf der individuellen Handlungsebene halte ich mich an Trude Simonsohn, die die Shoa überlebt hat und Ehrenbürgerin von Frankfurt war. Sie hat gesagt: »Sagt zu jedem Unrecht sofort Nein.« Das ist ein schlichter Satz, den zu beherzigen nicht so einfach ist, wie es klingt. Einerseits ist es einfach, denn man kann schlicht sagen: »Das sehe ich anders.« Man muss kein Referat halten. Aber im christlichen Kontext höre ich oft: »Ich habe das nicht studiert. Ich habe die Fakten nicht im Detail. Ich habe nicht die richtige Bibelstelle, um zu antworten.« Aber sich trauen, überhaupt etwas zu sagen, ist entscheidend. Wenn man Teil von einer Bewegung sein kann, ist es leichter. Ein Beispiel wäre eine Gemeinderatssitzung, in der jemand etwas Problematisches sagt. Dann ist entscheidend, ob irgendwer etwas entgegnet. Schafft man es vielleicht, einen ersten kleinen Stein ins Rollen zu bringen, wenn man etwas sagt? Und man kann versuchen, andere Leute einzubinden, dann steht man nicht alleine da. Es ist noch mal entscheidender, wenn eine hoch problematische Aussage fällt und keiner etwas sagt. Dann scheint es nämlich so, als würden alle anderen schweigend zustimmen. Dann gehe ich vielleicht davon aus, dass die gesellschaftliche Stimmung wirklich so menschenverachtend ist, wie es manchmal scheint. Ansonsten würde ich versuchen, den Druck rauszunehmen, und nach der eigenen Tagesform entscheiden. Man kann nicht immer alles sagen, und man kann allein auch nicht die Welt retten. Aber wenn ich was beitragen kann, dann ist es sehr wertvoll. Und das kann einfach nur ein schlichtes Nein sein. Was kann man noch tun, um gegen diese Verbreitung rechter Aussagen oder Stammtischparolen im christlichen Milieu vorzugehen? Es muss in den christlichen Organisationen Räume geben und einen Vertrauensvorschuss, dass man überhaupt erst mal reden kann. Da gibt es Gemeinsamkeiten, die man nutzen kann. Und ich fände es gut, die Schlagkraft zu nutzen, die von der Bischofskonferenz kommt. Es ist naheliegend, Synergien herzustellen. Ich sehe im Moment kein anderes Feld, wo es mehr Einigkeit gibt, sowohl innerkirchlich als auch gesamtgesellschaftlich, als beim Kampf gegen rechts außen. Menschen sind an unterschiedlichen Punkten, und das alles passiert ein Stück weit auch gleichzeitig. Gerade die eigene Reflexion finde ich sehr wichtig. Daraus kann sich eine Art Stufenprogramm entwickeln. Man muss sich mit den eigenen Überzeugungen und Prägungen befassen. Dann sollte man das in einer Gruppe diskutieren, um mit sich und den anderen um die Standpunkte zu ringen. Und diese Standpunkte sollte man vertreten durch Kundgebungen, durch Veranstaltungen, die man selbst organisiert, aber auch in Bündnissen, die diese klaren Standpunkte teilen. Ist der Einstiegspunkt, um viele Diskussionen führen zu können, eine Gemeinsamkeit zu finden? Das halte ich für einen total wichtigen Punkt und einen sehr schönen Abschluss: ernsthaft zu suchen, was man gemeinsam hat. Dann kommt man vielleicht auch von diesen abstrakten Parolen weg. Wenn ich an meinem Gegenüber ernsthaft interessiert bin, kann ich eine Aussage hart kritisieren und es trotzdem schaffen, die Person nicht in Bausch und Bogen zu verdammen. © MONTAGE AUF BASIS EINES BILDES VON STOCK.ADOBE.COM Die Webseiten der Deutschen Bischofskonferenz und etlicher Bistümer bieten umfangreiche Materialien zum Thema an, so zum Beispiel die Kampagnenplakate des Bistum Limburg Dieses Interview erschien in einer etwas umfangreicheren Fassung in der Zeitschrift 1-2024 des pax christi Regionalverbandes Rhein-Main.

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