Franziskaner - Sommer 2024

46 FRANZISKANER 2|2024 Unpolitisch geht nicht Stefan Federbusch OFM Was wäre es doch schön, in aller Verschiedenheit miteinander zu feiern, ohne gleich wieder in hitzige politische Debatten zu geraten – durch Musik beispielsweise. Sie verbindet Menschen, Völker und Kulturen. Eine Idee, wie sie auch hinter dem Eurovision Song Contest steht, der 1956 von den europäischen Rundfunkanstalten ins Leben gerufen wurde. Elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sollte er zur Völkerverständigung beitragen. Länder, die verfeindet waren und gegeneinander gekämpft hatten, messen sich nun im musikalischen Wettstreit. Daher heißt es in seinem Regelwerk: »Der ESC ist eine unpolitische Veranstaltung.« Alle beteiligten Rundfunkanstalten verpflichteten sich, dafür zu sorgen, »dass der ESC in keinem Fall politisiert und/oder instrumentalisiert wird«. Wie illusionär diese Selbstverpflichtung ist, zeigt sich in den Auseinandersetzungen darüber, wer teilnehmen darf und wer nicht. Boykotte und Boykottdrohungen verleihen dem Nachdruck, wer aus welchen Motiven ausgeschlossen werden soll. Dass es nicht nur um Musik geht, zeigt die Punktevergabe. Als beispielsweise die Jury Russlands 2014 der Dragqueen Conchita Wurst null Punkte gab, hatte dies ganz wesentlich ideologische Gründe. Als Großbritannien 2021 weder von den Fachjurys noch von den Zuschauern auch nur einen einzigen Punkt erhielt, ließ sich dies als Quittung für den Brexit interpretieren. In diesem Jahr geriet der ESC zur antiisraelischen Kundgebung. Zehntausende demonstrierten in Malmö gegen das Vorgehen Israels im Gazastreifen. Der 20-jährigen israelischen Künstlerin Eden Golan schallten massive Buhrufe entgegen, obwohl die Zuschauer:innen aufgefordert waren, dies zu unterlassen. Dass mit Nemo aus der Schweiz mit seinem Lied »The Code« eine sich offen bekennende non-binäre Person mit der entsprechenden Flagge den Eurovision Song Contest 2024 gewann, ist ein gesellschaftspolitisches Statement: »United by music« – aber nicht unpolitisch. Mit Erscheinen dieser Ausgabe beginnt Mitte Juni die schönste Nebensache der Welt: die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Kurz darauf folgen im Juli die Olympischen Sommerspiele in Paris. Auch hier wird die gelebte Völkerverständigung keineswegs unpolitisch sein. Da lässt es aufhorchen, dass in mehreren deutschen Städten kleine Kulturstadien entstehen, in denen nicht Fußball gespielt, sondern miteinander geredet und sich ausgetauscht werden kann. In München, dem EM-Eröffnungsort, wurde das »Stadion der Träume« eröffnet. In seiner Moderation zitierte der künstlerische Leiter Albert Ostermeier einen Satz des ehemaligen Nationaltrainers von Argentinien César Luis Menotti: »Fußball ist ein Spiel der Freiheit.« Klingt harmlos, ist bzw. war jedoch hochpolitisch. Menotti gewann mit seiner Mannschaft den WM-Titel 1978 während der Militärdiktatur und wagte danach den Kommentar: »Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt.« Die Fußball-Europameisterschaft 2024 steht unter dem Claim »United by football« und dem Motto »Heimspiel für Europa«. Klingt ebenfalls harmlos. Angesichts des sich auch in Europa ausbreitenden Nationalismus und Rechtspopulismus dürfte es auch bei der schönsten Nebensache der Welt nicht nur um Ballsport gehen. Die Europawahlen werden zeigen, in welche Richtung zukünftig gespielt wird. »United by music« und »United by sport«. Eine politikfreie Zone können auch Musik und Sport nicht bieten. Es wäre jedoch zu wünschen, dass sie einen Rahmen der Völkerverständigung eröffnen, in dem durch persönliche Begegnungen mehr Verständnis füreinander gewonnen wird – nicht ohne klar und eindeutig Krieg, Terror und Gewalt sowie jede Form von Völkerrechtsverstößen zu verurteilen. Vereint in der Musik und im Sport sollte sichtbar werden, dass die Sehnsucht des überwiegenden Teils der Menschheit in versöhnter, kultureller Verschiedenheit liegt, die allen ein gutes Leben in Freiheit und Sicherheit ermöglicht. © PICTURE ALLIANCE / PETER KNEFFEL

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