6 FRANZISKANER 2|2024 In seinem Gesang der Geschöpfe, uns besser bekannt als »Sonnengesang«, preist Franz von Assisi Gott zunächst durch und mit den kosmischen Elementen, mit Bruder Sonne und Schwester Mond und mit den Sternen. Es folgen die vier irdischen Elemente von Schwester Luft, Schwester Wasser, Bruder Feuer und Schwester Erde. Die Erde ist das einzige Element, bei dem es nicht beim geschwisterlichen Titel bleibt. Sie ist uns nicht nur Schwester, sie ist zugleich und ganz wesentlich Mutter. Sie ist das gebärende Element, das alles Leben hervorbringt. Franziskus nennt trotz seiner Tierliebe nur die Pflanzen in Form von Früchten, Blumen und Kräutern. Sie dienen »uns« als Nahrung. Dieses »uns« schließt neben den Menschen auch die Tiere ein. Das deutsche Wort er-halten lässt sich in doppelter Weise fassen. Die Erde erhält uns durch die Nahrungsketten, an deren Ende wir Menschen stehen. »Der eine lebt vom andern, für sich kann keiner sein.« Leben ist letztlich nur auf Kosten der anderen möglich. Allein die Tatsache, dass wir Nahrung benötigen und dafür anderes Leben töten, impliziert Gewalt. Gewalt, die sich durch einen bewussten Ernährungsstil zumindest reduzieren lässt. In einem Hymnus im Stundengebet heißt es: »Der Erde Schöpfer und ihr Herr, du hast geschieden Meer und Land; du hast die Flut zurückgedämmt und gabst der Erde festen Grund, dass sie uns sprieße gute Saat und schön sei durch der Blumen Pracht, dass sie, von reifen Früchten schwer, uns Nahrung geb' zur rechten Zeit.« Er-halten bedeutet zugleich Halt geben. Boden unter den Füßen zu haben, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen und der Realität zu stehen, heißt auch im übertragenen spirituellen Sinn, gut geerdet zu sein. Gut gegründet zu sein, ist dann ebenfalls doppelsinnig: Der Grund im Sinne des Bodens trägt und hält mich – und ich habe einen Grund zum Leben, ich verspüre Sinn. In meditativen Übungen ist das Gegründet- und Getragensein ein wichtiger Impuls. Mut ernährend – ©STOCK.ADOBE.COM/RICHARD SEMIK
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