13 FRANZISKANER 3|2024 im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Randgruppen gebraucht. Zudem steigt die Verwendungsfrequenz sehr stark an. Dr. Maria Goetzens trat 1983 in die Ordensgemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern ein. Seit über 25 Jahren arbeitet sie als Ärztin in der Elisabeth-Straßenambulanz (ESA) des Caritasverbandes Frankfurt am Main, deren Hauptaufgabe es ist, kranke und obdachlose Menschen in Wohnungsnot zu versorgen Der Brennpunkt der Liebe Ich frage mich: Was heißt hier Heilung? Gibt es die für Ivan überhaupt noch? Ist seine Alkoholsucht nicht wie ein Suizid auf Raten in schier aussichtsloser Lebenslage? Ivans Situation ist kein Einzelschicksal. Er teilt dieses mit vielen kranken, obdachlosen Menschen in der Stadt und all jenen, die nicht die notwendigen Hilfen erfahren – aufgrund struktureller und finanzieller Hürden und Gesetze. Auch mit dieser Realität wird das Team der ESA täglich konfrontiert. Welche Antwort finde ich auf die Nöte von Ivan, die ein Echo in meinem Herzen hinterlassen? »Wenn du wirklich liebst – bist du erfinderisch, versuchst du zu entdecken, bist du interessiert, bist du geduldig und langmütig«, sagte Dr. Anna Dengel, Tiroler Ärztin und Ordensgründerin. Doch angesichts solcher Begegnungen wie mit Ivan reibe ich mich an diesen Worten. Ivan ist ein Mensch am Rande der Gesellschaft. Doch mit seiner Lebensgeschichte und seinen Nöten holt er mich hinein in den »Brennpunkt der Liebe«. Auf seinen fehlenden Zugang zur medizinischen Regelversorgung, seine prekäre Lebenssituation gibt es keine einfachen Antworten und Lösungen! Sein Recht auf Gesundheit, Heimat, Nahrung scheint eingeschränkt, er lebt am Rand dessen, was konform ist, am Rand von Gesellschaft und Kirche. »Die Kirche ist aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen, an die Ränder zu gehen, nicht nur geografisch, auch an die Ränder der menschlichen Existenz: an die Ränder des Mysteriums der Sünde, des Schmerzes, der Ungerechtigkeit, der Ignoranz und religiösen Indifferenz, des Denkens und allen Elends.« (Papst Franziskus) Wunde Punkte Menschen wie Ivan konfrontieren mich mit den eigenen »Rändern«. An ihnen, diesen Brennpunkten des Lebens, darf ich erkennen, was gesellschaftlich gesehen oft »draußen bleibt« an unbequemer Frage, Konfrontation mit unheilbarem Leid oder Tod. In diesen Begegnungen werde ich auch immer mit den Realitäten meiner menschlichen Existenz konfrontiert: Leben ist verletzbar, ist endlich, reißt Wunden an Leib, Geist und Seele! Wenn ich mich entscheide, wie Ivan, berührbar zu bleiben und das Leben der kranken Wohnungslosen selbst zu berühren, sei es nur beim Verbinden einer Wunde, riskiere ich auch die Berührung meiner »wunden Punkte«: Ich werde konfrontiert mit Lebensfragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Manchmal werde ich schmerzlich konfrontiert mit der eigenen Grenze und Ohnmacht, die die Frage nach Gott neu stellen lässt. »Die verletzlichsten unter unseren Brüdern und Schwestern erweisen sich als unsere wahren Meister, als die, die uns den Weg ins Mysterium Gottes weisen.« (Martha Zechmeister) Begegnungen wie die mit Ivan können meinen Blick verändern, hin zu dem, was wesentlich im Leben ist und »wirklich« zählt. Plötzlich offenbart sich mir die ungebrochene Würde eines Menschen in aller Verelendung, oder seine/ihre Kraft wird spürbar, geschenktes Vertrauen, die Gabe, Verletzbarkeit zu zeigen, berührbar und offen zu sein für »Wundheilung«. Es ist der Blick der Liebe, die Perspektive Gottes, die mich einlädt, Widersprüche nebeneinander auszuhalten und nicht gleich auflösen zu müssen. Und auch wenn ich den bohrenden Schmerz angesichts all der Ungerechtigkeit und des Unheilen empfinde, merke ich in dieser Haltung, wie jenseits der Grenze von Ohnmacht und Elend auch die Kostbarkeit von Leben sichtbar wird. Letztlich bin ich dann die Beschenkte und Empfangende in der Begegnung mit einem Menschen wie Ivan! »Wenn du liebst, willst du wirklich dienen und nicht nur arbeiten …« Im Kontext der Elisabeth-Straßenambulanz heißt das für mich, von den Armen und Verwundeten in unserer Gesellschaft zu lernen, was wirklich dem Leben dient. Gemeinsam mit anderen gilt es, die Zusammenhänge von Armut und Gesundheit besser zu verstehen, Missstände und unheile Strukturen aufzudecken und auf Veränderungen hinzuwirken, die Heilung und Gerechtigkeit für alle ermöglichen – auch für jene am Rande wie Ivan. »Deus Caritas est.« PORTRÄT © SOPHIE SCHÜLER | BEHANDLUNGSBILD © CATHIA HECKER
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