15 zum 19. Jahrhundert. Heute wird es vornehmlich in der übertragenen, auf die Gesellschaft bezogenen Lesart verwendet. Pierre Stutz, Schweizer Theologe, spiritueller Autor vieler erfolgreicher Bücher, Ausbildung im Sozialtherapeutischen Rollenspiel, lebt in Osnabrück. ▶▶ www.pierrestutz.ch und aufgehoben End-lich sein dürfen Auferstandene sind wir, wenn wir unsere Wundmale nicht mehr verstecken, sondern sie als Kraftquelle entdecken. Die Begegnung des Apostels Thomas mit dem Auferstandenen (Johannesevangelium 20,19–28) zeigt mir archetypisch auf, dass wir gleichzeitig verwundet und aufgehoben sein können. Das ist eine der zentralsten seelsorgerlichen Botschaften des Evangeliums! Deshalb schreibe ich das Wort »end-lich« gerne mit einem Bindestrich, weil dadurch sein doppelter Sinn sichtbar wird: 1. Mein Urwunsch, einfach sein zu dürfen, anzukommen bei mir selbst, nicht im Hamsterrad der Schnelligkeit stecken zu bleiben, sondern achtsam-mitfühlend leben zu können. 2. Meine Sehnsucht, auch in meiner Endlichkeit angekommen und geliebt zu sein – im Leben und Sterben vertrauensvoll in das Göttliche hineingeboren zu werden. Spiritualität der Unvollkommenheit »Der Kern des menschlichen Daseins birgt ein Paradoxon in sich. Erst wenn der Mensch dies begreift, wird seine Seele Glück erfahren«, schreibt der US-amerikanische Mönch Thomas Merton (1915–1968). Je mehr er Christ geworden ist, desto mehr hat er das Verbindende mit dem Buddhismus gesucht. Je mehr er in die Stille eingetaucht ist, desto politischer wurde er. Mit dem buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh hat er sich für die Versöhnung der USA und Vietnam eingesetzt, was ihm auch harte Kritik vieler Zeitgenossen eingebracht hat. Dank seiner Biografie werde ich ermutigt, mich für Werte einzusetzen, dessen Früchte ich vielleicht nicht selbst ernten kann. Es bedeutet, mich von all den überfordernden »Glücksprogrammen« zu verabschieden. Glücklich werde ich, wenn ich jeden Tag auch unglücklich sein darf! Wer sich wie mein Lebensfreund aus Nazareth dem Leben liebend in die Arme wirft, der wird immer dankbar staunen können und zugleich schmerzvoll in den Grenzsituationen des Lebens die Hoffnung neu buchstabieren. Dass wir Gott brauchen, ist sonnenklar, doch Gott braucht auch uns, jede und jeden von uns. Sein Segen fließt durch uns, und wir werden nicht nur zum Segen füreinander, wenn alles rundläuft, sondern auch, wenn wir unsere Verletzlichkeit nicht mehr überspielen. In meiner Autobiografie »Wie ich der wurde, den ich mag« beschreibe ich auf der letzten Seite diese Hoffnung: Es ist nie zu spät Ja zu sagen zu durch-kreuzten Plänen Krisen als Wachstumschancen zu sehen Sich zu versöhnen mit seinem Weg JETZT Ist das ganze Leben vor mir. FRANZISKANER 3|2024 FLÜGEL © SAKA – STOCK.ADOBE.COM | PORTRÄT © JANNICK MAYNTZ
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