Franziskaner - Herbst 2024

18 FRANZISKANER 3|2024 Der Begriff »Stigma« trägt dem Verb entsprechende Bedeutungen und begegnet uns auch in der Medizin und der Biologie. Quelle: www. dwds.de – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache wird. Wie die beiden Köpfe fast miteinander vereinigt sind, so ist in den Wundmalen eine innige Beziehung zwischen Christus und Franziskus zu erkennen. Ich frage mich: Was wird umarmt? Im Grunde unseres Herzens umarmen wir nicht die Wunden. Auch Christus wollte nicht leiden, er ist nicht gerne ans Kreuz gegangen. Er wollte nicht leiden, aber durch sein Leben bis in den Tod, rein aus Liebe, hat er uns Heilung gebracht. Eine der zentralen Darstellungen ist bei dir der Wolf von Gubbio … … und diese Erzählung verdichtet noch einmal, was Franziskus gelebt hat: das Verstehen und die Versöhnung. So können wir sie uns immer neu in Erinnerung rufen. Ein Wolf versetzt die Menschen von Gubbio in Angst und Schrecken, sie können ihre Stadt nicht mehr allein verlassen. Franziskus kann diesen Zustand nicht ertragen. Er geht unbewaffnet auf den Wolf zu und schließt mit ihm Frieden. Er anerkennt den Hunger des Wolfes, der ihn zu den Raubzügen verleitet, und sichert ihm Nahrung zu. Die beiden schließen ein Bündnis. Der Wolf legt seine Tatze in die verwundete Hand des Franziskus. Das heißt für mich: Aggressionen und Wunden gehören zusammen zu unserem Leben. Es gib eine Wirklichkeit in uns, die angeschaut werden muss. Wir brauchen keine Romantik in die Legende hineinzulegen, sondern müssen entdecken: Das Animalische gehört dazu! Was Darwin uns sagte, ist eine starke Kränkung bis heute. Der Wolf ist in uns. Allein diese Wahrheit anzuerkennen, tut weh. Franziskus können wir hier in einer tieferen Sicht sehen: Er begegnet dem Wolf in Ehrfurcht und erkennt ihn als Geschöpf Gottes an. Bleiben wir in der Lieblosigkeit stecken, kann sich nichts verwandeln. Auferstehung aber geschieht durch Umarmung. Indem Franziskus einen Teil seiner Wirklichkeit im Wolf erkennt und diese umarmt, kann Versöhnung stattfinden. Die klassische Legende über die Wunde ist der Wolf. Wer ist der Wolf? Bruder Wolf ist der, der mich ärgert, aber er kann mir auch den Himmel erschließen. Um noch einmal auf die drei Werke zu blicken: die Umarmung des Aussätzigen, die Stigmatisation, der Tanz mit dem Wolf – welchen Auftrag liest du daraus für uns? Wir müssen uns mit unseren Kräften versöhnen, damit sie nicht unkontrolliert einem anderen schaden. Und was braucht es, um zueinander zu finden? Wie kann Frieden gelingen? Wir werden erst Frieden finden, wenn wir aufhören, die Menschen in Gut und Böse einzuteilen, und uns versöhnen. Das ist auch unsere Berufung, einander auf dem Lebensweg beizustehen und aus allen Ängsten herauszurufen zur Freiheit und zum Glück. Vielen Dank für dieses anregende Gespräch! Und dafür, dass du an der Hoffnung festhältst, dass wir als Menschen durchaus das Potenzial haben, in aller Verschiedenheit Versöhnung zu wagen. Lebensgroßer Entwurf für die Bronzeplastik rechts, die vor dem Franziskanerkloster Vossenack steht. Tanz mit dem Wolf: 1991, Bronze, 190 x 140 x167 cm. Stigmata des hl. Franziskus: 2018, Acryl auf Papier, 76 x 130 cm

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