Franziskaner - Herbst 2024

22 FRANZISKANER 3|2024 schaft gefunden wird, die offiziell dem Kirchenasyl zustimmt und deren Räumlichkeiten und deren soziales Umfeld für die Durchführung geeignet sind: Gibt es zusätzlich zu einer Schlafstätte auch ein Bad und eine Kochmöglichkeit? Sind Ehrenamtliche involviert, die sich um Einkäufe kümmern und den Asylsuchenden Gesellschaft leisten können? Falls auch Kinder im Kirchenasyl sind, ist außerdem eine Begleitung für den Weg zur Schule wichtig, damit eine Abschiebung auf dem Schulweg verhindert werden kann. Viele Kirchengemeinden würden eigentlich gerne Kirchenasyle gewähren, fürchten jedoch rechtliche Konsequenzen oder unabsehbare Gesundheitskosten, die dadurch entstehen können. Tatsächlich sind Schutzsuchende im Kirchenasyl nicht krankenversichert, weil sie in dieser Zeit bei der Ausländerbehörde abgemeldet sind. Die Erfahrung vieler engagierter Gemeinden zeigt allerdings, dass hier in der Praxis eigentlich nichts zu befürchten ist, da es praktisch immer Krankenhäuser oder Ärzt:innen gibt, die in gesundheitlichen Notfällen eine Ausnahme machen. Mit Blick auf die rechtlichen Konsequenzen müssen sich die Verantwortlichen, die ein Kirchenasyl gewähren, bewusst sein, dass staatlicherseits jederzeit die Durchsetzung einer Abschiebung mit polizeilichen Mitteln erfolgen kann. Auch eine strafrechtliche Verfolgung wegen »Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt« ist theoretisch möglich. Die neuerliche Rechtsprechung kommt hier jedoch zu dem Schluss, dass keine strafbare Handlung vorliegt, soweit man die Schutzsuchenden nicht aktiv zum Verbleib im Kirchenasyl auffordert. Ergeben sowohl die inhaltliche als auch die organisatorische Prüfung, dass ein Kirchenasyl angezeigt und machbar ist, wird dem BAMF durch die Bistumsmitarbeitenden offiziell ein Kirchenasyl gemeldet. Um dieses zu rechtfertigen, muss ein begründetes Härtefalldossier eingereicht werden, welches inhaltlich detailliert auf die Asylgründe und vor allem auf die besonderen Härten, die eine Abschiebung mit sich bringen würde, eingeht. Kirchenasyl – eine sichere Schutzmöglichkeit? Auch im Falle von Herrn M. wurden die verschiedenen Aspekte wie beschrieben geprüft. In seinem Fall kamen wir zu dem Schluss, dass ein Kirchenasyl tatsächlich angebracht war, da er ein Attest über eine ernst zu nehmende Krankheit vorlegen konnte und wir Mitarbeiterinnen die begründete Sorge vor erneuter exzessiver Gewalt in Kroatien nachweisen konnten. Nach längerem Suchen fanden wir schließlich auch eine Kirchengemeinde, die bereit war, ihn für mehrere Wochen aufzunehmen und ihn zu unterstützen. So konnte die Überstellungsfrist überschritten werden, wodurch Herr M. die Sicherheit hatte, dass er nicht nach Kroatien abgeschoben und dass sein Asylverfahren in Deutschland inhaltlich geprüft wurde. Diese wichtige Schutzfunktion kann ein Kirchenasyl in begründeten Einzelfällen also durchaus leisten. Gleichzeitig war diese positive Nachricht jedoch nur der Beginn eines langwierigen Asylverfahrens in Deutschland. Ob er tatsächlich in Deutschland einen längerfristigen Schutzstatus und damit eine echte Perspektive erhält, ist alles andere als sicher und unterliegt neben juristischen leider immer wieder auch politischen Entscheidungen. Die Oberzeller Franziskanerin Juliana Seelmann (r.) arbeitet in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in Würzburg. Sie hat spezielle Erfahrungen mit dem Thema Kirchenasyl gemacht, denn sie wurde in dem Zusammenhang vor Gericht gestellt. Der Hintergrund: Sie hatte ausreisepflichtige Menschen, die in Italien zum ersten Mal Europa betreten hatten und dann weiter nach Deutschland geflohen waren, Kirchenasyl gewährt. Schwester Juliana berichtet: »Vor einigen Jahren hatte sich unsere Gemeinschaft dazu entschieden, grundsätzlich Kirchenasyl zu gewähren. Für das Kirchenasyl kommt eine Anfrage, diese wird dann eingehend geprüft, und nur im Härtefall wird das Kirchenasyl gewährt. Im Fall des Gerichtsprozesses ging es um zwei Frauen aus Nigeria, die Opfer von Zwangsprostitution waren und schon in der Kindheit sexuelle Gewalt erfahren hatten. Die Ausreise nach Italien wäre der sichere Weg zurück in die Zwangsprostitution gewesen: »Die Frau war schwer traumatisiert und brauchte einen sicheren Ort, um einmal zur Ruhe zu kommen ohne Angst vor erneuter Prostitution und Gewalt«, so die Franziskanerin. 2021 wurde Schwester Juliana verurteilt, 2022 kam der Freispruch im Berufungsurteil. diese persönlichen Härten herauszufinden, stehen unter anderem folgende Fragen im Mittelpunkt: Drohen der Person im EU-Erstaufnahmeland unrechtmäßige Inhaftierung, exzessive Gewalt, Obdachlosigkeit oder eine Kettenabschiebung in nicht sichere Länder oder sogar in das Verfolgungsland? Ist die Person körperlich oder psychisch krank und kann daher nicht reisen oder im Zielland nur ungenügend medizinisch behandelt werden? Wird mit der Abschiebung eine Familie getrennt? Welche praktischen Aspekte sind zu bedenken? Da die betroffene Person nur auf dem Gelände der Kirchengemeinde effektiv vor Abschiebung geschützt ist und daher dort mitunter wochenlang bleiben muss, gilt es neben den inhaltlichen Aspekten auch einige organisatorisch-administrative Punkte vorab zu klären. So ist es äußerst wichtig, dass eine Gemeinde oder Ordensgemein- © PRIVAT

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