31 FRANZISKANER 3|2024 ist häufig noch antijudaistisch, ohne dass sie sich dessen bewusst ist. Und das ist die Generation, die heute in der kirchlichen Interpretation immer noch federführend ist. Von daher war es so wichtig, dass Werke wie »Die Pharisäer« und »Das Neue Testament jüdisch kommentiert« auch in Deutsch vorliegen. Die neutestamentlichen Schriften sind jüdisch-messianische Schriften. Wir stehen in diesem Sinne noch ganz am Anfang bei der Implementierung einer neuen Theologie. Antijudaismus ist noch in der Theologie als Form der Israelvergessenheit tief drin. Ich benutze dafür oft das Wort »A-Semitismus«, weil der Bezug zum Judentum nicht explizit gemacht wird. Was denken Sie, wie sollte man mit den Kunstwerken an und in Kirchengebäuden umgehen, die Juden oder das Judentum negativ darstellen? Christian Rutishauser SJ: Da laufen sehr viele Debatten in den letzten Jahren. An jedem Ort muss genau hingeschaut werden: Gewisse Dinge muss man entfernen. Es geht aber nicht nur um einen Purismus. Deshalb muss man manche Dinge in einem Museum aufbewahren, um die Geschichte nicht einfach auszulöschen. Eine dritte Möglichkeit ist, eine Darstellung zu kontextualisieren, indem sie im liturgischen Raum verbleibt, aber noch einmal beschrieben wird, mit Plaketten oder ähnlichem, die erklären, was es damit auf sich hat. Wie kann man die von Ihnen beschriebene Blockade im Dialog zwischen Christentum und Judentum aufbrechen? Christian Rutishauser SJ: Die katholische Kirche ist eine Weltkirche und erreicht viele Völker und Länder. Viele Mitglieder der katholischen Kirche haben die deutsche Geschichte und die Shoah nicht als ihrem Hintergrund. Es muss an den biblischen Grundlagen gearbeitet wird. Denn die Gläubigen begegnen den Pharisäern jeden Sonntag im Evangelium und setzen sie mit »den Juden« gleich. Auch die junge Generation muss erreicht werden: Es gibt eine Überalterung im jüdisch-christlichen Dialog. Das meiste Engagement kam von denen, die die Shoah im Hintergrund haben. Wir erreichen die Jungen nicht, indem wir sagen: Das darf nie wieder geschehen! Denn sie haben nicht das Gefühl, dass sie etwas falsch gemacht haben. Zudem ist der jüdisch-christliche Dialog durch die Trennung von Religion und Politik ins Unbedeutende abgerutscht. Wir brauchen wieder eine politische Theologie. Jehoschua Ahrens: Auf der einen Seite muss man sehen, dass wir mit dem jüdisch-christlichen Dialog jetzt an einer Schwelle stehen. Das ist das Positive. Jetzt sind wir dort, wo wir eigentlich schon lange aus jüdischer Sicht hinwollten: auf Augenhöhe, als gleichberechtigte Partner akzeptiert und frei, uns zu äußern. Aber die Frage ist, was passiert jetzt? Kann man es schaffen, dieses Momentum weiterzuführen oder geht es jetzt abwärts? Ich glaube, Israel wird eines der Themen sein, die dabei ganz wichtig sind. Auf der einen Seite spaltet es, da manche sich abwenden vom christlich-jüdischen Dialog wegen Israel; aber es ist ein Schlüsselthema und vielleicht auch eine Chance, durch eine neue politische Theologie wieder den Dialog zu entfachen. Eine weitere Frage lautet: Was sind die Themen der Zukunft? Die Themen werden auf der einen Seite theologischer sein als bisher und auf der anderen Seite auch israelbezogener. Und es geht darum, zu schauen, was wir eigentlich noch für weitere Themen haben. Was mich hoffnungsvoll und optimistisch stimmt, ist, dass es viele haupt- und ehrenamtliche Theologinnen und Theologen gibt, die sich für das Thema interessieren und die dafür brennen. Oft sind es Menschen, die für ein Studienjahr in Israel waren und sich tiefer mit dem Judentum befasst haben, die wirklich Juden begegnet sind, die Judentum so kennengelernt haben, wie es ist und nicht wie es beschrieben wird. Eigentlich müsste es viel mehr Begegnungen geben. Das ist das Dilemma in Europa nach der Shoah: Wenn man Millionen Juden umbringt und die anderen emigrieren, dann gibt es kaum noch Begegnungen. Und wir können das von jüdischer Seite kaum möglich machen. Daher müssen andere Wege für Begegnungen gefunden werden. Außerdem muss man eine Perspektive schaffen, damit Juden auch hauptamtlich am Dialog teilnehmen können – zum Beispiel über akademische oder andere Institute, wie ein Institut für jüdisch-christliche Forschung. So etwas haben wir in Deutschland nicht. Trauer um die Toten des Massakers beim Nova-Musikfestival am 7. Oktober 2023 in der Nähe des Kibbutz Reim. Neben dem Verlust von Menschen und dem Bangen um die Geiseln wirkt die Einbuße des Gefühls von Schutz und Sicherheit im eigenen Land nachhaltig traumatisierend. © PICTURE ALLIANCE/DPA – ZUMA PRESS WIRE
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