34 FRANZISKANER 3|2024 sie wirklich bedeuteten: so etwa bei der Einberufung des Kreuzzugs durch Papst Innozenz III. auf dem Laterankonzil am 11. November 1215. Franziskus dagegen ging unbewaffnet zum Sultan. Aufgrund dieser Erfahrungen formuliert Franziskus, seine Brüder im 17. Kapitel der Regel von 1221 ermahnend, seine Vorstellung vom »wahren Frieden des Geistes«, der nach Demut, Geduld und reiner Einfalt strebt. Wobei Demut, Humilitas, die Nähe zum Humus, zur Erde meint und die Demut, Patientia, die Nähe zum Leidenden einschließt und die reine Einfalt jene meint, die zwar keine Schläue und Reichtümer, aber eine Herzensbildung besitzen. Der wahre Friede des Geistes, gemeint ist Gottes Geist, schließt keinen aus und benachteiligt niemanden, auch nicht die ungebildeten Armen und die leidenden Leprösen. Es kann keinen Frieden auf Kosten der einen oder anderen Seite geben. Dauerhaften Frieden kann es nur durch einen ausgleichenden, gerechten Friedensschluss geben, der allen Betroffenen zugutekommt. Als der Friede in Assisi durch einen Streit zwischen dem Podestà und dem Bischof wiederum gefährdet war, fügte der schon todkranke Franziskus seinem Sonnengesang eine Friedensstrophe hinzu: »Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen, um deiner Liebe willen …«, die die streitenden Gruppen zur Versöhnung bewegen sollte. Anerkennung der eigenen Verantwortlichkeit und eine gegenseitige Vergebung der jeweiligen Schuld gehören notwendig zu einem Friedensprozess. Grundvoraussetzungen der Friedenshaltung In der Eremitage der Carceri, einem Rückzugsort von Franziskus und den ersten Brüdern, befindet sich eine Tafel mit der Aufschrift: »Ubi Deus ibi Pax«, »wo Gott ist, dort ist Friede«. Dieser Satz verweist auf die tiefe Verbindung zwischen Kontemplation und einer Haltung des Friedens. Die Bedeutung der Kontemplation als grundlegendes Element im Leben der frühen Bruderschaft ist in den Quellen dokumentiert. Die Hinweise, welche den Inhalt der Kontemplation in den Schriften von Franziskus und seiner Brüder ausdrücken, stellen das barmherzige Handeln Gottes in den Mittelpunkt. Die Erfahrung, von Gott trotz Begrenztheit und Versagen angenommen zu sein, vermittelt in der Stille der Kontemplation jenen inneren Frieden, der ein friedfertiges Handeln im Alltag ermöglicht. Das Geschenk des inneren Friedens sollte sich in den von den Brüdern gelebten menschlichen Strukturen widerspiegeln. Daher sollen die Brüder »Wortgefechte vermeiden, nicht untereinander oder mit anderen streiten«. Vielmehr sollen sie »sanftmütig, friedfertig und bescheiden sein«. Auch die freiwillig gewählte Armut steht in einer Beziehung zum Frieden. Da, so Franziskus, viel Besitz Rechtsstreite und Zänkereien verursacht, und man Waffen braucht, um Besitztümer zu verteidigen, verzichten er und seine Brüder um des Friedens willen auf Eigentum und Vermögen. Kontemplation und Armut bilden die Grundlage für eine dem Frieden dienende, alternative Lebensform. Der Wolf von Gubbio – Frieden stiften Die alternative Lebensform ist es dann, die Franziskus und die Brüder geradezu zu Friedensstiftern profiliert. Dazu bietet uns die franziskanische Literatur, zum Beispiel die Fioretti und der Spiegel der Vollkommenheit, ein Lehrstück an: die Erzählung vom Wolf von Gubbio. Franziskus, der Lehrmeister, zeigt durch sein Verhalten in dieser Erzählung, wie die Buß- und Friedensbotschaft konkret verwirklicht wird. Die Erzählung von Franziskus und dem Wolf verweist auf konkretes Handeln, das schrittweise einen Friedensschluss ermöglicht: 1. Franziskus geht den Konflikt zwischen den Bürgern von Gubbio und dem Wolf – historisch wahrscheinlich ein Ritterclan – aktiv an. Dabei exponiert er sich selbst und engagiert sich für das Leben der gefährdeten Bevölkerung. 2. Er verweigert die Dämonisierung einer Seite und erkennt eine Geschwisterlichkeit an, die alle am Konflikt Beteiligten einbezieht. 3. Angesichts der Aufrüstung der Konfliktpartner bleibt er selbst unbewaffnet. 4. Deutlich stellt er Gott in den Mittelpunkt seines Handelns. 5. Er handelt nicht alleine. Gemeinschaftlich mit seiner Bruderschaft bemüht er sich, mit Tapferkeit und Weisheit vorzugehen. 6. Dazu legt er die wahren Ursachen von Gewalt und Ungerechtigkeit offen und nennt sie beim Namen. Der Wolf bedroht mit Gewalt das Leben der Bürger, diese aber haben die Gewalt mit provoziert, indem sie dem Wolf die notwendige Nahrung verweigerten. 7. Franziskus ermahnt zur Umkehr und Versöhnung aller am Konflikt Beteiligten und fördert diese, indem er sich als Garant eines Friedensschlusses zur Verfügung stellt. 8. Als Voraussetzung zum Abschluss eines Friedens ist er behilflich, die Gerechtigkeit als Grundlage des Friedens wiederherzustellen. Die Bürger versprechen dem Wolf, das Notwendige zur Ernährung zu gewährleisten, und der Wolf verzichtet auf weitere Gewaltakte. Diese Lehrerzählung der franziskanischen Quellen will keine Anekdote aus dem Leben des Franziskus erzählen. Sie will am Beispiel des Franziskus Menschen bewegen, in Konfliktsituationen ähnlich zu handeln und für den Frieden zu wirken. Es geht dabei um eine alternative Gestaltung der Welt im Geiste des Evangeliums. Dem schon im Hier und Heute beginnenden Gottesreich, einem Reich des Friedens, soll in der Realität des Lebens Raum gegeben werden. Johannes-Baptist Freyer OFM Die Onlineversion dieses Beitrages finden Sie auf www.franziskaner.de. Sie enthält einige in Deutschland weniger bekannte Literaturhinweise.
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