36 FRANZISKANER 3|2024 Franziskuslegende«, die eine theologisch fundierte Darstellung der Spiritualität des Franziskus sind. Neben dem geschichtlichen Lebenslauf formuliert Bonaventura auch die Spiritualität des Franziskus intensiv aus und stellt sie in die Mitte seines Berichtes. Das eigentliche Geheimnis ist für ihn seine intensive Beziehung zu Jesus Christus. Der Poverello sucht die Spuren Jesu, geht ihnen nach und versucht sie im eigenen Alltag umzusetzen. Die Armut macht ihn Jesus ähnlich. Die Liebe zu den Geschöpfen, zu den Lerchen, zu Bruder Falke und Schwester Lamm, lässt ihn den Schöpfer in den Kleinigkeiten des Alltags erleben. Die menschlichen Sinne erfahren eine neue Beachtung und führen zu einer Vertiefung der geistlichen Sinne. Franziskus schaut Gott nicht nur an, sondern wird von Gott angeschaut und lebt im Blick Gottes. Diese erste Erfahrung vor dem Kreuz von San Damiano wird zu einer immer neuen Erfahrung in seinem Leben. Es ist die Erfahrung der Wandlung, die Gott schenkt. Geistliches Leben ist dauerndes Hineingenommen-Werden in ein Verwandelt-Werden. Nicht ich wandle, sondern ich werde verwandelt. Bonaventura vermittelt ein gewandeltes Bild des Armen aus Assisi, in dem die Menschen die Gegenwart Jesu erleben können. Diese Spiritualität versucht er seinem Orden und vielen Menschen zu vermitteln und kommuniziert so franziskanische Spiritualität in die kommende Geschichte der Kirche hinein. Ein Dienst an der Kirche Bonaventuras Einfluss auf den Orden und auf die Kirche wird durch seine Arbeit immer wichtiger, sodass er vom Papst zum Kardinalbischof von Albano ernannt wird. Geistlich eindrücklich ist die (späte) Erzählung, dass Bonaventura im Kloster von Mugello in der Nähe von Florenz auch als Generalminister gerade beim Abwaschen des Geschirrs gewesen sei, als der päpstliche Legat kam, um ihm den Kardinalshut zu bringen. Er sagt ihm: »Lass mich zuerst den Abwasch fertig machen.«Er tut, was er gerade tut, aus ganzem Herzen, und das ist wichtiger als alles andere, was er dann auch noch tun könnte und nun sogar tun sollte. Eine faszinierende Erzählung angesichts der bis heute bestehenden Versuchung wegen kirchlicher Ämtern stolz und überheblich zu werden. So wird Bonaventura am 12. November 1273 in Lyon durch den Papst zum (Kardinal-)Bischof von Albano geweiht. Er erhält von Papst Gregor X., der vermutlich ein Schüler Bonaventuras war, den Auftrag, im Konzil von Lyon die Ost- und die Westkirche wieder zu einer Einheit zusammenzuführen. Durch Franziskanerbrüder, die er in den Osten sendet, etwa einen aus Griechenland stammenden Franziskaner, der die griechische Landessprache als Muttersprache beherrschte, bekommt er schnell Kontakt mit den Bischöfen und dem griechischen Patriarchen des Ostens und auch mit den politisch Mächtigen, vor allem dem Kaiser des byzantinischen Reiches, die einen sehr großen Einfluss auf kirchliche Fragen haben. Auch Papst Gregor X. nutzt die direkten Kontakte der römischen Kurie in den Osten und erbittet 1273 von Vertretern in der ganzen Christenheit ihre Meinung, ob eine Vereinigung der beiden Kirchen wichtig, machbar und notwendig sei. Können Ostrom (Konstantinopel) und Westrom (Rom) im christlichen Glauben wieder zusammenfinden? Oder bleiben sie zwei getrennte Welten, die einander nicht verstehen und zu misstrauen drohen? Der heilige Bonaventura im Kardinalskleid über dem franziskanischen Habit. Das Bildnis ist Teil eines großen flämischen Wandteppichs aus dem Jahr 1479. Der »Lebensbaum der Franziskaner« war ein Geschenk des Papstes Sixtus IV. © PICTURE ALLIANCE / AKG-IMAGES
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