Franziskaner - Herbst 2024

37 FRANZISKANER 3|2024 Die Vereinigung der östlichen und der westlichen Kirche Auf dem 2. Konzil von Lyon, das im März 1272 einberufen wurde und von Mai bis Juli 1274 stattfindet, gelingt der Kirche und besonders dem damit beauftragten Bonaventura das Unfassbare: Die seit 1054 getrennten Kirchen finden wieder zur Einheit zurück. Wegen Sturm und Schiffbruch konnte die griechische Delegation erst am 24. Juni in Lyon eintreffen. So wurde zum Hochfest der heiligen Petrus und Paulus, den Patronen der päpstlichen westlichen Kirche, am 29. Juni 1274 unter dem Vorsitz des Papstes gemeinsam Eucharistie gefeiert und die beiden Kirchen wurden so miteinander in dieser Feier vereinigt. Bonaventura hielt die Festpredigt. Die Westkirche bekannte auf Lateinisch ihren Glauben, die Ostkirche auf Griechisch. Beide Seiten bekannten das umstrittene »Filioque“, dass der Geist vom Vater und vom Sohn ausgeht und nicht nur vom Vater. Hier wurde dieses »Filioque«auch von der griechischen Kirche bekannt, aber sie erhielt gleichzeitig die Erlaubnis, es in ihrem Glaubensbekenntnis künftig nicht formulieren zu müssen. Das ist ein eindrücklicher Kompromiss des Konzils, der zwar auf der Richtigkeit einer Aussage beharrt, aber gleichzeitig auch bekennt, dass die frühere Fassung des Glaubensbekenntnisses ebenso gebetet werden darf und ebenfalls gültig ist. Feier der kirchlichen Einheit und erneutes Zerbrechen Am 6. Juli wurde die kirchliche Einheit nochmals gefeiert, indem die griechische Kirche den Primat, die Vorrangstellung des Papstes, ausdrücklich anerkannte und sich diesem unterstellte. Gleichzeitig erhält sie die Erlaubnis, ihre unterschiedliche östliche Liturgie weiterhin feiern zu können. Leider zerbrach die Einheit der Kirche aber in kurzer Zeit wieder – wegen politischer Spannungen und Machtausübung im Osten und der Unklugheit der folgenden Päpste im Westen, die den Kaiser von Byzanz zweimal exkommunizierten. Spätestens 1282, als Kaiser Michael von Byzanz starb, brach die Einheit ganz auseinander, und es waren wieder zwei konkurrierende Kirchen im Osten und im Westen. Bonaventuras Tod am 15. Juli 1274 Noch auf dem Höhepunkt der Feiern der kirchlichen Einheit brach Bonaventura zusammen und starb unerwartet am 15. Juli. Es ist nachvollziehbar, dass diese geistliche, theologische und kirchliche Größe keine Lebenskraft mehr in sich hatte. Jahrelang leitete er unter schwierigsten Bedingungen den zerstrittenen und angefochtenen Franziskanerorden weltweit bis in den Frühling 1274, bereitete den Kontakt und die Verhandlungen mit Ostrom vor, gewann das Ja von Konstantinopel und war wesentlich an der Leitung der Vereinigungsverhandlungen und -feiern beteiligt. Am folgenden Tag wurde er vom ganzen Konzil unter Leitung des Papstes in Lyon beerdigt. Für die Kirche war dieses Jahr 1274 ein Wendepunkt. Es mussten wieder ganz neue Wege aus dem Glauben gesucht werden. Zwischen franziskanischem Feuer und Dienst an der Kirche Durch seine eigene intensive Suche nach der Spiritualität des Franziskus gelingt es Bonaventura, dem Feuer des Gebetes und der Kontemplation neue Kraft zu geben und die schon von anderen beschriebene franziskanische Spiritualität in neuer Tiefe zu formulieren. Franziskus wird als schwacher Mensch zum prophetischen Bild eines durch die Kraft der Gottesbeziehung verwandelten Menschen. Sein Leben mit Jesus Christus wird zum Zentrum seines Daseins. Es wird in seinem persönlichen geistlichen Leben, in seinen Diensten an den Armen, in seiner missionarischen Kraft und in der Begegnung mit dem muslimischen Sultan von Ägypten deutlich, dass die franziskanische Spiritualität für viele Menschen weltweit und für die Kirche als Ganze wichtig ist. Auch heute muss die Tiefe einer intensiven Gottsuche, nach Jesus Christus, im Zentrum unseres geistlichen Lebens stehen, damit wir immer neu lebendig werden können. Sie muss sich immer aber auch auf andere Menschen hin öffnen, auch auf solche, die den christlichen Glauben nicht teilen oder am Rande der Gesellschaft stehen. Die Tiefe des Gebetes eröffnet den Mut, auch in den fruchtbaren Dialog mit Fremden treten zu können. Die innere Tiefe schenkt Halt in jeder Begegnung. Ebenso ist Bonaventuras Sehnsucht nach der Einheit der Kirche eine wesentliche Leidenschaft, die er bis heute weitergibt. Ost- und Westkirche sind immer noch getrennt, die Reformation zerriss im 16. Jahrhundert die Kirche erneut, und heute gibt es verschiedene Freikirchen und schwere interne Spannungen auch in der katholischen Kirche sind belastend und trennend. Den Wert anderer christlicher Auffassungen zu entdecken, gemeinsamen Einsatz für die Armen und für den Frieden in die Mitte zu stellen und von Christinnen und Christen lernen zu dürfen, sind auch heute wesentliche Elemente des christlichen Glaubens. Stephan Wahle Noch manche Nacht wird fallen Liturgie in Krisenzeiten Echter-Verlag, Reihe Franziskanische Akzente, Oktober 2024, 9,90 €, ISBN 978-3-429-05983-5 Franziskanische Akzente Christof Breitsameter Liebe – und tu, was du willst! Thesen zur kirchlichen Sexualmoral Echter-Verlag, Reihe Franziskanische Akzente, September 2024, 9,90 €, ISBN 978-3-429-05942-2

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