Franziskaner - Herbst 2024

39 FRANZISKANER 3|2024 Marie: Ich habe auch letztes Jahr mein Abitur gemacht. Ich wollte danach in den Freiwilligendienst, um noch mal eine Auslandserfahrung und etwas Sinnvolles zu machen. Ich bin in Bosnien an einem Gymnasium in Visoko und arbeite hier im Alltag mit, also vormittags vor allem im Unterricht, und nachmittags begleite ich verschiedene kreative Angebote. Außerdem begleite ich Ausflüge und alles, was im Alltag so anfällt. Demnächst werde ich allerdings die Einsatzstelle wechseln und für ein Praktikum nach Genf zu Franciscans International gehen. Gibt es einzelne Momente, die ihr als besonders wahrgenommen habt? Nika: Mir fällt eine Situation aus der Suppenküche ein: Normalerweise kommen immer die gleichen Menschen, und wir kennen alle hier. Aber an diesem Tag kam eine neue Familie: eine Mutter mit drei Kindern – zwei kleine Mädchen, die vielleicht drei und vier Jahre alt sind und ein Baby. Es war eine Roma-Familie, deren Haus abgerissen wurde, weil es nicht legal gebaut wurde. Und weil sie keine Dokumente haben, haben sie nicht die Möglichkeit, ein neues Haus zu finden, und sind auf Hilfe angewiesen. Es hat mich sehr berührt, als sie ihre Geschichte erzählt haben. Sie hatten einfach plötzlich kein Zuhause mehr und brauchten Essen. Und die zwei kleinen Mädchen sind wirklich superoffene, freundliche, nette, fröhliche Mädchen. Sie sind immer zu mir gekommen, wenn sie in die Suppenküche kamen, um Hallo zu sagen und mir zu sagen, dass sie sich immer freuen, mich zu sehen, und sie gerne mit mir spielen, wenn sie da sind. Das ist natürlich nicht meine Aufgabe in der Suppenküche. Aber wenn sie ein Spielzeugauto dabeihaben, dann setze ich mich dazu und spiele mit ihnen. Es hat mich einfach sehr gefreut und berührt, dass ich gemerkt habe, dass es nicht so ein abstraktes »Ich helfe« ist. Man kocht nicht einfach etwas für hungrige Menschen, sondern man spürt die Dankbarkeit für mich als Person und für das, was ich hier mache. Was gefällt euch bei eurem Projekt besonders gut? Jakob: Mir gefällt besonders gut, dass man ziemlich viel über das Land erfährt, weil man einfach viel Kontakt mit Einheimischen hat. So lernt man dann Sprichwörter oder Feste kennen und versteht sie auch wirklich. Und die Einheimischen geben Tipps, was man sich unbedingt anschauen sollte. Außerdem gefällt mir sehr gut, dass die Personen hier sehr viel Rücksicht auf die Bedürfnisse von anderen nehmen. Wenn man sich mit einer Situation überfordert fühlt, achten die Leute hier einfach sehr gut darauf und nehmen das Feedback auch sehr ernst. Marie: Für mich ist es definitiv die Gemeinschaft vor Ort durch den Schulkontext. Es ist eine sehr kleine Schule, in der ich sehr herzlich aufgenommen wurde. Grundsätzlich ist die erlebte Gastfreundschaft eine sehr, sehr positive Erfahrung. Und natürlich auch, was auch bei den anderen schon angeklungen ist: einfach die Menschen und die Kulturen näher kennenzulernen. Aus welchen Erfahrungen konntet ihr bisher am meisten lernen? Nika: Ich wusste sehr wenig über Albanien, bevor ich hierhergekommen bin. Ich hatte abgespeichert, dass das Land noch in Europa liegt. Geografisch ist es das auch. Aber da Albanien kein EU-Mitglied ist und auch nicht zum Schengenraum gehört, sind die Lebensverhältnisse teilweise ganz anders als in der EU. Eine Schwester hat mir ganz am Anfang gesagt: Man muss die Geschichte des Landes kennen, um die Menschen zu verstehen! Das Land war nie politisch stabil. Und das merkt man an vielen Ecken und Enden. Sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Situation der Menschen hat sich nicht erholen können. Für viele Themen gibt es nicht die Kapazität, weil die Baustellen ganz andere sind: Der Müll muss weggeräumt werden, fließend Wasser muss da sein, Stromleitungen müssen in alle Häuser gelegt werden. Und in dem Zug ist mir bewusst geworden, dass es uns allen in Deutschland so gut geht, dass wir uns quasi privilegierterer Probleme annehmen können. Marie: Ich kann mich da nur anschließen. Man lernt viel über die andere Kultur und andere Lebensweisen. Sachen, die bei uns einfach anders sind – ohne wertend zu sagen, das eine ist besser, das andere schlechter. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass ich gerade in dem Projekt auch viel über mich selbst gelernt habe: Manchmal habe ich Zeiten, in denen ich alleine bin, und dann stehe ich wieder vor einer Klasse und rede vor 20 bis 30 Menschen. Der Kontrast ist manchmal sehr stark, aber genau das hat mich positiv weitergebracht. Gibt es besondere Herausforderungen, die in eurem jeweiligen Projekt an euch gestellt werden? Nika: Also bei mir gibt es hauptsächlich zwei Herausforderungen: Das eine ist natürlich die Sprache In der Freizeit erkunden Marie und Mirjam ihr Einsatzland Bosnien

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