Franziskaner - Herbst 2024

46 FRANZISKANER 3|2024 Verwundete Hoffnung Stefan Federbusch OFM Seit Beginn dieses Jahres veröffentlichen wir auf der Website der Franziskanischen Familie einen wöchentlichen »Hoffnungs-Schimmer«. Angesichts der zahlreichen Krisen unserer Zeit scheint dies wie ein Trostpflaster, wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Jahresberichte verschiedener Organisationen geben wenig Anlass zur Hoffnung. Das »Friedensgutachten 2024« von vier deutschen Friedensinstituten dokumentiert mehr Gewaltkonflikte denn je. Die weltweiten Militärausgaben haben einen historischen Höchststand erreicht. Das Thema Krieg und Frieden hat den Klimawandel als größte Herausforderung der Menschheit verdrängt. Der EU-Klimawandeldienst Copernicus bescheinigt, dass 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war. Im 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) ist die alarmierende Botschaft zu lesen, dass eine globale Erwärmung von 1,5 Grad bereits um das Jahr 2030 erreicht werden wird. Schon jetzt spüren wir, welche Auswirkungen 1,1 Grad Erwärmung hat. Im »Global Trends Report« des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen ist nachzulesen, dass auch die Zahl der Vertriebenen 2023 höher war als je zuvor. Etwa 120 Millionen Menschen flohen vor Verfolgung, Krieg und Gewalt, Menschenrechtsverletzungen oder mangelnden Ernährungsmöglichkeiten. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Zugleich stehen weniger Mittel zur Verfügung. Die Hilfswerke der UNO leiden unter ständiger Unterfinanzierung. Im Jahresbericht Weltkirche ist festgehalten, dass die Spenden für die katholischen Hilfswerke, Diözesen und Orden von 673 auf 624 Millionen Euro gesunken sind. Im Haushaltsentwurf 2025 hat die Bundesregierung 937 Millionen Euro weniger für das Entwicklungshilfeministerium vorgesehen, nachdem bereits für 2024 Mittel gekürzt wurden. »Dieser Kahlschlag kostet Menschenleben«, so die nüchterne Feststellung von Dagmar Pruin, Präsidentin von »Brot für die Welt«. Die FDP hat zum wiederholten Mal gefordert, das Entwicklungshilfeministerium ganz abzuschaffen. Unsere Welt ist schwer verwundet. Menschen leiden, werden ausgegrenzt und stigmatisiert. Diese Ausgabe des »FRANZISKANER« anlässlich des Stigmata-Jubiläums des heiligen Franziskus bringt es zum Ausdruck: Menschen werden zum Opfer. In der englischen Sprache gibt es die Unterscheidung zwischen »victim« als unfreiwilligem Zum-Opfer-Werden und »sacrifice« als freiwillige Hingabe, wie bei Jesus und den Märtyrern. Etwas Ähnliches bräuchte es für die Stigmatisation. Das Stigmatisiert-Werden als unfreiwillige Exklusion und die Stigmatisierung als Akt der Liebe. Nach dem Vorbild Jesu haben sich immer wieder Christinnen und Christen für andere eingesetzt. Ihr Prinzip lautet nicht Resignation angesichts der globalen Krisen, sondern »Hilfe zur Selbsthilfe« vor Ort und das Anstoßen von Friedensprozessen im Kleinen. Die »Hoffnungs-Schimmer« sind daher keine billige Vertröstung, sondern Ermutigung zum Handeln. »Global denken und lokal handeln« ist noch immer ein hilfreiches Prinzip. Mich für die Verwundeten einsetzen mit dem Risiko, selbst verwundet zu werden. Die »Hoffnungs-Schimmer« beleuchten das, was medial kaum Resonanz findet: die kleinen Geschichten des Alltags und die Aktionen, über die kaum berichtet wird. Beispielsweise über das Schreiben von Papst Franziskus »Fratello sole« (Bruder Sonne), mit dem er am 21. Juni 2024 ankündigte, dass der Vatikan klimaneutral werden soll. Dazu wird im Nordwesten Roms eine Agro-Photovoltaik-Anlage installiert, die mit 424 Hektar ungefähr zehnmal so groß ist wie der Vatikanstaat selbst. Bei sich selbst im Kleinen beginnen, das ist immer wieder der Ratschlag von Papst Franziskus. Dies gilt auch für unsere Franziskanerprovinz, die bislang kein Klimaschutzkonzept hat. Die »Hoffnungs-Schimmer« sind dann mehr als ein Trostpflaster. Wer sich ermutigen lässt zu handeln, der ist – wie es in einem Neuen Geistlichen Lied heißt – »ein Tropfen auf den heißen Stein, der kann der Anfang eines Regens sein, er kann der Anfang neuen Lebens sein«. (Hans-Jürgen Netz) © PICTURE ALLIANCE / ANADOLU

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