Franziskaner - Winter 2024

11 rellen Mediatorinnen und Mediatoren zusammen, die zwischen den verschiedenen Kulturen sowohl sprachlich als auch kulturell vermitteln. Nur so kann »Intersos« das nötige Vertrauen aufbauen, um die Menschen am Rande der Gesellschaft zu erreichen. Sie kontrollieren keine Papiere und urteilen nicht. Guter Wille, viel Professionalität und Menschenfreundlichkeit Auch Organisationen wie »Borderline Europe« arbeiten eng mit genau solchen Organisationen in Palermo zusammen. Sie sammeln vor allem Informationen, um bessere Lobbyarbeit leisten zu können und die Bevölkerung über die Zustände an den europäischen Außengrenzen zu informieren. Ein Treffen mit Judith Gleitze, einer der Gründerinnen der Organisation, hinterließ tiefen Eindruck bei uns. Die jetzige Lage und die ständige Verschlechterung der Situation von Flüchtenden sind eindrücklich in ihrer Präsentation zusammengefasst, ebenso die Folgen der europäischen Asylpolitik. Die Art, wie in Libyen und Tunesien mit Migrantinnen und Migranten umgegangen wird, lässt uns erschüttert zurück. Uns wird klar: Die Menschen, die wir hier vor Ort kennenlernen, sind die glücklichen Gewinnerinnen und Gewinner einer Lotterie. Sie haben es aus Tunesien oder Libyen herausgeschafft. Oft nachdem sie dort gefoltert wurden, hohe Lösegeldsummen aufbringen mussten oder zum Sterben in die Wüste verschleppt wurden. Sie sind durch großes Glück den Booten der sogenannten Küstenwachen entkommen und damit einem Kreislauf der Ausbeutung. Nun sind sie zwar auf NGOs angewiesen, aber sie sind trotzdem Gewinnerinnen und Gewinner. Ein Zuhause, in dem sie sicher und aufgehoben sind, haben sie allerdings oft noch nicht gefunden. Wir sind froh, nach solchen deprimierenden Einschätzungen am letzten Tag in Palermo eine Einrichtung zu besuchen, deren Arbeit uns begeistert. Es ist ein soziales Zentrum, das von den Waldensern, einer der protestantischen Kirchen Italiens, betrieben wird. Neben Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und Familien gibt es die »Casa dei Mirti«. Hier leben 15 unbegleitete männliche Minderjährige mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen. Auch sie haben in der »Lotterie« gewonnen, denn der Betreuungsschlüssel von zehn Erwachsenen auf 15 Jugendliche ist außerordentlich gut. Amur ist einer der Bewohner. Der gehörlose junge Mann hat die Leiterin der Einrichtung und die interkulturelle Mediatorin dazu inspiriert, Zeichensprache zu lernen. Inzwischen kommunizieren sie problemlos mit ihm. Wir erfahren, dass er mit seiner Fußballmannschaft die Gehörlosenliga in Italien gewonnen hat, Theater spielt und tanzt. Der von der Elfenbeinküste stammenden Schüler hat eine außerordentlich positive Ausstrahlung, sein strahlendes Gesicht wird uns lange in Erinnerung bleiben. Es ist eine Erfolgsgeschichte, die uns wieder Hoffnung macht, dass eine gute Aufnahme doch klappen kann. Wenn es doch nur mehr Einrichtungen wie diese gäbe! Ankommen? Ja, … aber ein Zuhause? In Palermo haben wir eine fast schon zweigeteilte Welt erlebt. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die allen, die sich an sie wenden, versuchen zu helfen und einen Ort schaffen wollen, der ein Zuhause sein kann. Auf der anderen Seite steht die Willkür – »man muss die Lotterie gewinnen«, um eine wirkliche Chance zu haben und diese systematische Abschreckungskampagne zu überleben. Wir haben auf eindrucksvolle Weise erlebt, wie erfolgreich die Integration sein kann. Aber uns wurde auch gezeigt, wie sich die Abschottungspolitik Europas auswirkt. Auch hören wir immer wieder von der Situation der Menschen, die noch auf dem Weg sind. Um darüber mehr zu erfahren, nehmen wir eine Nachtfähre von Sizilien nach Lampedusa. Die »Insel der Hoffnung« oder auch der »Hotspot der Migration«. Das Erstaufnahmezentrum, der »Hotspot« auf Lampedusa, liegt unzugänglich in einer Schlucht und ist ringsum schwer bewacht. Geflüchtete werden direkt in zwei Gruppen eingeteilt: Asylsuchende und Wirtschaftsmigranten. Letztere Gruppe wird aufgefordert, das Hoheitsgebiet Italiens innerhalb von sieben Tagen zu verlassen, sonst werden sie in Haft genommen und abgeschoben. © KERSTIN MEINHARDT

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