Franziskaner - Winter 2024

13 FRANZISKANER 4|2024 setze gegen Menschenhandel mit bis zu 30 Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Das Ausmachen der »Schuldigen« geschieht in der Regel noch am Steg selbst. Alles andere wird dann im Hotspot erledigt. Hotspot – inzwischen ein gut geöltes System In den Hotspot, der inzwischen vom Roten Kreuz Italien geleitet wird, dürfen weder wir noch Vertreterinnen und Vertreter der NGOs hinein. Das Gebiet ist militärisch abgeriegelt und nicht zugänglich. Die Geflüchteten sind inzwischen nur noch ein bis drei Tage hier untergebracht. Dann werden sie weitertransportiert. Es werden Fingerabdrücke genommen und ein Fragebogen ausgefüllt, der die Gründe für die Überfahrt ermitteln soll. Laut der Freiwilligen von »Maldusa« werden die Fragen dabei aber so gestellt, dass die meisten Geflüchteten vorsätzlich kein Asyl bekommen werden. Diese Fangfragen sind nicht nur manipulativ, sie verzerren die Rechte von Geflüchteten auf brutale Art. Denn wer einmal andere Gründe angegeben hat, der wird nur schwer Asyl beantragen können. Auch die medizinische Erstbetreuung, Rechtsberatung und das generelle Ankommen wird kaum möglich gemacht im Hotspot. Der Umgang mit Geflüchteten erinnert eher an den Umgang mit Gepäckstücken an einem Flughafen als an eine menschenwürdige Behandlung von zum Teil zutiefst traumatisierten Menschen. (Über)Leben Und dann sind da noch die vielen Toten. Die zivile Seenotrettungsorganisation »Sea-Watch« hat im Oktober der mindestens 30.000 ertrunkenen Menschen gedacht, die seit 2014 auf der Route über das Mittelmeer ihr Leben gelassen haben. Wir besuchen den Friedhof auf Lampedusa, wo die Freiwilligen von »Mediterranean Hope« die Gräber von Ertrunkenen gestaltet haben und pflegen. Nicht alle Toten werden hier beerdigt. Mittlerweile werden viele nach Sizilien überführt oder einfach nie geborgen. Vor allem der Bereich für die verstorbenen Kinder lässt uns keine Ruhe. Während wir hier auf Lampedusa waren, geschah ein Schiffsunglück, über das in den Medien berichtet wurde. Doch dort wurde nicht von den zwei vermissten Kindern berichtet, sondern nur von den tapferen Touristen, die einem in Seenot geratenen Boot halfen. Zwei Kinder – ein Säugling und ein fünfjähriges Kind – wurden hinterher vermisst. Ob sie geborgen und hier beerdigt wurden, wissen wir nicht. Es geht nur zusammen Die Freiwilligen der NGOs sind eng vertraut mit Not, Leid, Hilfslosigkeit und Tod. Wir fragen uns immer wieder, wie sie das hier aushalten. Es geht nur in Gemeinschaft. Am letzten gemeinsamen Abend erleben wir das auch selbst. Eine Gruppe junger Menschen von verschiedenen Organisationen trifft sich im September jeden Freitagabend bei einer Landwirtschaftsinitiative, die versucht, auf der Insel wieder eigenen Anbau zu fördern. Es wird zusammen gegessen, geredet und Musik gemacht. Doch dann informiert die Küstenwache, dass ein Boot ankommt, und plötzlich lassen sechs der Anwesenden alles stehen und liegen und fahren zum Hafen. Es ist egal, dass es schon spät am Abend ist und man gerade gemütlich zusammensitzt. Die Arbeit hört nie auf, und es werden immer Menschen ankommen, die glauben, dass sie hier eine Chance auf ein Zuhause haben. Die Reise lässt uns etwas ratlos zurück. Auf der einen Seite haben wir unglaublich viel Engagement erlebt, auf der anderen Seite ein System, dass alles dafür tut, es den Helfenden und den Schutzsuchenden so schwer wie möglich zu machen und auf Kriminalisierung und Abschreckung setzt. Wir haben Geflüchtete erlebt, die in der »Lotterie gewonnen haben«, die angekommen und froh sind, einen Beitrag zu leisten und ihren Platz gefunden zu haben. Am Ende bleibt die Gewissheit, dass es nicht nur die gesamtgesellschaftlichen Umstände sind, sondern dass es immer auch die Entscheidung von Einzelnen ist, Teil der Lösung oder Teil des Problems zu sein und dass das auch für Kommunen, Parteien oder Unternehmen gilt. Anna Meinhardt Kerstin Meinhardt Langfassung des Beitrags: ▶▶ www.pax-christi.de Viele Gräber von Geflüchteten auf dem Friedhof der Insel Lampedusa sind namenlos. Mit dem Mahnmal des Zimmermanns der Insel, Francesco Tuccio, aus den Planken eines Flüchtlingsbootes wird der vielen Toten und ihrer zerschellten Hoffnungen auf Freiheit gedacht. © KERSTIN MEINHARDT

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