Franziskaner - Winter 2024

18 FRANZISKANER 4|2024 Migration als Bereicherung Interview mit Prof. Thomas Faist Professor Faist, das Themenfeld Migration, Asyl, Ausländer wird nach einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen von 42 Prozent der Deutschen als das wichtigste Problem der Gegenwart bezeichnet. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen für diese Entwicklung? Ich denke, Migration ist »das« Metathema. Das liegt daran, dass sich Migration mit allen sozialen Problemen der Gegenwart verbinden lässt: mit Arbeitslosigkeit, mit Wohnungsnot, mit Partnermangel. Die meisten dieser Verbindungen tragen aber nicht weit. Die Faktenlage ist eindeutig: Weder Arbeitslosigkeit noch Wohnungsmangel wurden in Deutschland durch Migration entfacht oder angefacht. Das Thema Migration wird instrumentalisiert, nicht nur von Rechtspopulisten, sondern auch von Parteien der Mitte. Diese Instrumentalisierung ist möglich, weil Migration als Metathema für eine Verschiebung von Ängsten steht – weg von Kriegen, weg vom Klimawandel; hin zu etwas, was als menschliches Gesicht der Globalisierung bezeichnet wird. Die Folgen von Globalisierung kann man am Thema Migration besonders gut und einfach festmachen. Es ist also auch ein gewisser Verdrängungseffekt dabei, sodass neben Migration kaum noch Platz für die eigentlich wichtigen Krisen ist. Für Politiker:innen ist das sehr einfach und bequem. Man demonstriert Handlungsfähigkeit, obwohl die Effekte, die man angeblich erzielen will, relativ gering sind. Letztendlich ist die gegenwärtige Politik um Migration eine symbolische Politik. Diese Politik der Metafrage begleitet uns schon seit Jahrzehnten und kommt immer wieder hoch. Es scheint fast so, als ob politische Parteien daraus gar nichts lernen wollen. Jedes Mal, wenn Migration als Metafrage aufkommt, hat eigentlich nie die Partei gewonnen, die sie aufgegriffen hat, sondern immer die Rechtsaußen-Parteien, die sich darüber profiliert haben. Es ist also eine Art No-win-Situation für die Parteien der demokratischen Mitte, wenn sie dieser Strategie folgen. Wenn Migration das menschliche Gesicht der Globalisierung ist, würden Sie dann sagen, dass die Menschen, die Angst vor Migration haben, eigentlich Angst vor Globalisierung haben? Mit Globalisierung meine ich sämtliche Aktivitäten, die uns grenzübergreifend betreffen – mit ihren wirtschaftlichen, politischen, kulturellen Auswirkungen. Und wenn ich vom menschlichen Gesicht der Globalisierung spreche, dann meine ich, dass viele der Auswirkungen, die bei uns Angst erzeugen, unheimlich komplexe Wirkungszusammenhänge haben – wie Klimawandel, die Reduktion von Biodiversität, das Sterben von Arten etc. Es ist sehr verführerisch, sich auf etwas wie Migration zu konzentrieren, was man mit den eigenen Augen sehen und beurteilen kann. Ich möchte nicht sagen, dass das alles nur Ersatzhandlungen sind. Auch Migration kann Ängste auslösen. Aber Migration als Übel der Welt anzusehen, kann eigentlich nur an der Verschiebung von Problemen liegen. Woran liegt es, dass Geflüchtete so leicht zu Sündenböcken für alle möglichen Probleme gemacht werden und das Narrativ von der »Mutter aller Probleme« funktioniert? Ich glaube, Migration ist besonders dafür geeignet, weil wir in einer Zeit leben, in der wir in der staatlichen und politischen Organisationsform immer das Innen und Außen betonen. Wir und sie. Das wird durch den Nationalstaat, der auch viele Vorteile hat und wichtig für die Durchsetzung der Menschenrechte ist, besonders betont. Dadurch gibt es noch ein anderes Gesicht, das Gesicht der Ausgrenzung, das sagt: Wir bilden eine Gemeinschaft, wir sind homogen, und draußen sind die »anderen«. Das fördert Denken und Fühlen in Entweder-oder-Kategorien. Unsere Gesellschaft ist heterogen in Bezug auf Klassen, Milieus und Religionen. Und diese Heterogenität verunsichert und wird in Migration sichtbar, obwohl diese die Heterogenität nur minimal erhöht. Susmita Arp spricht in einem »Spiegel«- Kommentar (14.9.2024) von der »Illusion der Humanität« des bestehenden Asylsystems und plädiert dafür, großzügig besonders »Schutzbedürftige direkt aus den Elendslagern dieser Welt« (Resettlement) auszufliegen und andererseits mit Abschreckung an den Grenzen zu agieren. Was halten Sie von diesem Ansatz, mit dem die besonders Schutzbedürftigen aufgenommen, andere aber abgewiesen werden sollen? Das scheint auf den ersten Blick attraktiv zu sein, denn es nimmt Bedürftige in den Blick und berücksichtigt Gruppen, die bisher nicht im Fokus standen. Meines Erachtens steht dahinter aber ein Denkfehler: Dieser Denkfehler besteht darin zu glauben, dass man durch Restriktionen Akzeptanz für Migration schaffen kann. Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass restriktive Politik die Grundlage für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus schafft. In diesem Falle wäre also die restriktive Politik der Zurückweisung an der Grenze eine Maßnahme, die nach hinten losgeht, weil sie suggeriert, dass alle diese Menschen

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