Franziskaner - Winter 2024

26 FRANZISKANER 4|2024 Geistlicher Wegbegleiter Winter 2024|25 Die Wirklichkeit erschlägt mich in diesem Gebet. Über 122 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Anhaltende und immer neue Krisen lassen Menschen überall auf der Erde ihre Heimat verlassen. Unterwegs auf den Meeren dieser Welt kommen sie vielleicht an den Küsten Europas an. Vielleicht … Das Gebet des Flüchtlings ist schiere Verzweiflung. Eine Bitte um alles. Hier kommt alles zur Sprache: das Wissen um seine Existenz. Das Ausgeliefertsein ohne Heimat. Die Hoffnungslosigkeit, die um sich schlägt. Die erste Frage wird zur Probe: Bist du noch mein Hirte? Der, auf den ich mich in aller Not verlassen kann? Der Flüchtling schleudert seine Situation vor Gott. Im Hintergrund kommt uns Psalm 23 entgegen. Jedoch: Alle felsenfesten Gewissheiten werden mit einem Fragezeichen ausradiert. Unterm Strich bleiben menschliche Wünsche, die noch unerfüllt sind. Beten ist Schrei und der kleine Zweig Hoffnung, an den man sich klammert. Herr, Krieg und Hunger haben mich vertrieben. Flüchtling dieser Welt bin ich, einer von Millionen. Ziellos, wandernd, ohne Horizont. Einsam. Heimatlos. Du, Herr, bist du mein Hirte noch? Alles, alles fehlt mir: die Gerüche meines Landes, die vertrauten Laute meiner Sprache. Freunde, mit denen ich gelacht und geweint. Meine Familie, die mir genommen. Durch das Wasser bin ich gekommen. Überlebt. Andere nicht. Lagern muss ich im Rinnsal, kein Ruheplatz im überfüllten Zelt. Mein Verlangen: ungestillt. Mein Verlangen nach Ruhe. Nach Sinn. Nach diesem Funken Leben. Die rechten Pfade gibt es nicht mehr, ausgetreten sind sie, verweht. Du weißt: Ich wandere in finsterer Schlucht, Unheil wartet rechts und links. Bist DU bei mir? Ich schrei es dir zu. Bist DU bei mir??? Die Zuversicht schwindet mir unter meinen Füßen. Kein Stock, kein Stab. Mit letzter Kraft in meinen Beinen wanke ich. Wonach mich dürstet? An einem gedeckten Tisch zu sitzen. Brot. Feigen. Ein gefüllter Becher mit frischem Wasser! Mit Freunden, die mich aufnehmen. Mein Kopf gewaschen! Wie gut würde mir das tun! Anzukommen. Willkommen zu sein. Und in einem Haus zu wohnen, aus dem mich keiner rausschmeißt.

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