3 FRANZISKANER 4|2024 Ein anderer Advent Zwei blaue Müllsäcke, gefüllt mit einigen Kleidungsstücken und wenigen Habseligkeiten – das war alles, was unsere zwei Gäste mitbrachten. Vater Dilan und sein 16-jähriger Sohn Miro (Namen geändert) sollten für mehrere Wochen in unserer Franziskaner-Gemeinschaft in Köln-Vingst Kirchenasyl erhalten. Sie waren alevitische Kurden aus dem Südosten der Türkei, geflohen vor den Schikanen des türkischen Staates und der beruflichen Perspektivlosigkeit in ihrem Heimatdorf. Seit einigen Jahren schon lebte die vierköpfige Familie mit Duldungsstatus in Deutschland und hatte erfolgreich versucht, ein neues Leben aufzubauen. Doch nun, Anfang Dezember, war der Familie ihr Aufenthaltsstatus aberkannt worden. Ihnen drohte die Abschiebung. Das Einzige, was jetzt noch helfen konnte: Kirchenasyl. Der Vater und der ältere Sohn kamen zu uns Franziskanern, die Mutter und der jüngere Sohn in eine Kölner Kirchengemeinde. Unsere beiden Gäste nahmen an unserem Konventsleben teil, und wir nahmen hautnah Anteil an ihrem Schicksal als Migranten und Flüchtlinge in Deutschland. Der Alltag musste organisiert werden, und es galt, sprachliche Missverständnisse und kulturelle Differenzen zu überwinden. Mir wurde neu bewusst, was Kennenlernen eigentlich bedeutet und wie bereichernd es sein kann, Menschen beim Überleben zu helfen. Das war ein anderer Advent für unsere kleine Bruderschaft in jenem Jahr und auch ein berührend anderes Weihnachtsfest. Die aktuelle gesellschaftliche Diskussion zeichnet ein ganz anderes Bild: Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten werden als Belastung und Bedrohung unserer Gesellschaft wahrgenommen. Politikerinnen und Politiker fast aller Parteien beteiligen sich an einem Überbietungswettbewerb möglicher Abwehrmaßnahmen gegen diese »Gefahr«. »Willkommenskultur« war gestern; heute ist der »Schutz nationaler Grenzen« angesagt. Wir kann man sich dieser Diskussion – und den Schicksalen dahinter – menschlich, christlich stellen und dabei die Ängste und Sorgen der Aufnahmegesellschaft berücksichtigen? In dieser Ausgabe von FRANZISKANER beleuchten wir das brisante Themenfeld Flucht und Migration von verschiedenen Seiten. Wir wollen zu einer differenzierten Auseinandersetzung ermutigen, welche die Menschenwürde und die Menschenrechte nicht aus dem Blick verliert. Ich wünsche Ihnen eine informative und inspirierende Lektüre! Und ein hoffnungsfrohes Weihnachtsfest! Br. Markus Fuhrmann OFM (Provinzialminister) © STOCK.ADOBE.COM
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