31 FRANZISKANER 4|2024 Es ist richtig, dass Orte der Kommunikation als öffentliche Räume unabdingbar sind für eine Demokratie. Es ist auch richtig, dass der digitale Raum ein Riesenangebot an Kommunikation schafft, das ambivalent zu werten ist. Aber was der Demokratie zuträglich ist, sind insbesondere kommunikative Räume, in denen man nicht nur seinesgleichen trifft. Und das ist, wenn es gut geht, etwa in Organisationen wie Gewerkschaften, Kirchen oder zivilgesellschaftlichen Bewegungen, aber auch Vereinen der Fall. Dort treffen Leute unterschiedlicher Herkunft zusammen und stehen miteinander in Beziehung. Die wichtigsten Institutionen in dieser Hinsicht aber sind die, an denen alle zusammentreffen, also in erster Linie die Schulen. Hier werden die Weichen für gesellschaftliche Selbstverständnisse gestellt. Politische Parteien sind meines Erachtens zentrale Institutionen, die es schaffen müssen, über Generationen und verschiedene sozialen und kulturellen Gruppen hinweg Angebote zu machen. Und ich denke, dass beispielsweise in Bezug auf die Einbeziehung von Menschen mit muslimischem Hintergrund in solche Institutionen noch einiges an Nachholbedarf besteht. Und wie viele Menschen mit geringem sozialen oder kulturellen Kapital finden noch Zugang zur Binnenstruktur politischer Parteien? Eine demokratische Gesellschaft kann nur als Kommunikationsgesellschaft funktionieren. Und diese Kommunikationsgemeinschaft muss ihre Differenzen auf eine Weise austragen, die die Gemeinschaftlichkeit nicht zerstört. Allerdings ist die deutsche Gesellschaft gekennzeichnet durch eine gewisse Neigung zu unterscheiden, zwischen denen, die »wirklich« dazugehören, denen, die ein bisschen dazugehören, und denen, die eigentlich gar nicht dazugehören. Dieses Denken ist immer noch tief verankert und bricht in solchen Krisenzeiten auf. Es ist eine Riesenaufgabe für alle gesellschaftlichen Institutionen, diese Art von Diskurs aufzugreifen, anzugreifen und zurückzuweisen. Welche Rolle würden Sie zivilgesellschaftlichen Akteuren und Kirche zubilligen oder zuweisen in diesem Prozess? Die Toleranz als eine demokratische Grundtugend ist und war nicht gerade eine Paradetugend der deutschen Gesellschaft, und hier spielen die Kirchen eine wichtige Rolle. Toleranz wird häufig so verstanden, dass eine Leitkultur die »anderen« machen lässt, sie aber nicht als gleichgestellt ansehen muss. Das geht vom Moscheebau bis zum Kopftuch. Hier müssen Kirchen sagen: »Wir dürfen unterschiedliche und auch gegensätzliche Auffassungen darüber haben, was der wahre Glaube ist und wie man ihn lebt. Aber es darf nicht die Privilegien derer geben, die angestammte Mehrheiten bilden gegenüber den anderen.« Ich glaube, dass religiöse Institutionen bei der Frage von öffentlichen Räumen, in denen Gemeinsamkeiten und Unterschiede offen diskutiert werden können, eine wichtige Rolle spielen. In der Transformation hin zu einer pluralistischen Gesellschaft muss zum Beispiel die Frage, wieso eine Richterin kein Kopftuch tragen darf, grundsätzlich durchdacht werden. Neutralität des Staates heißt für viele, dass Richterinnen keine religiöse Symbolik aufweisen dürfen. Das führt aber dazu, dass weitbekannte Katholikinnen und Katholiken natürlich oberste Richterinnen und Richter sein können, weil ihre Religiosität unsichtbar scheint, während eine sichtbare religiöse Identität ausgeschlossen wird. Neutralität kann folglich recht verstanden eigentlich nur bedeuten, dass das oberste Gebot der Nichtdiskriminierung herrscht und dass niemand aufgrund der Religionszugehörigkeit diskriminiert werden darf – selbst wenn ein religiöses Symbol getragen wird, das nicht einfach abzulegen ist wie ein Hut. Das sind Lernprozesse, in denen Kirchen eine wichtige Rolle spielen. Sie müssen dabei nicht sagen: »Die religiösen Differenzen zu Muslimen oder anderen Religionsgemeinschaften sind jetzt nicht mehr relevant.« Natürlich sind die relevant. Aber sie sind dort relevant, wo es um den Glauben geht, nicht dort, wo es darum geht, wer Richterin oder Richter sein kann.
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