Franziskaner - Winter 2024

33 FRANZISKANER 4|2024 Freiheit oder was mir Spaß macht«. Für Olivi ist Freiheit ein zentraler Begriff seines Menschenbildes. Ausgangspunkt der menschlichen Freiheit ist für ihn die Innerlichkeit eines jeden Menschen. Die Innerlichkeit, also die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, Selbsterkenntnis und -beurteilung, begründet die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung wiederum erlaubt dem Menschen, frei über sich selbst und sein Tun zu bestimmen. Diese Freiheit ermöglicht es auch, als eigenständige Person anderen Menschen und der Welt so oder so zu begegnen. Sich anderen und der Welt gegenüber zu öffnen und sich darauf einzulassen, wird somit zur Bewährungsprobe für die eigene Freiheit. Freiheit ist für Olivi daher eine Dimension der Beziehung, die sich in der freien Zuwendung zeigt. Der schönste Ausdruck von Freiheit in Beziehungen ist für ihn die Liebe. Erst die Liebe vollendet die Freiheit des Menschen. »Freiheit von« wäre für Olivi ein Widerspruch zur »Freiheit für«. »Freiheit von« beendet Beziehungen und bringt einen isolierten Individualismus hervor, der im Gegenüber einen Konkurrenten sieht und die Beherrschung von Welt und Natur erfordert. »Freiheit für« dagegen wertschätzt Beziehungen, fördert und pflegt sie und fordert einen sorgsamen Umgang mit der Schöpfung. Die Fähigkeit, die eigene Freiheit im Sinne Olivis zu verwirklichen, fällt nicht vom Himmel. Sie muss eingeübt werden. Dazu benennt er einige menschliche Qualitäten wie Selbstbestimmung, Selbstbeherrschung, Selbstreflexion, Autonomie, Selbstbewusstsein und Selbstüberschreitung. Diese Begriffe kennen wir auch aus der Moderne. Um sie aber nicht misszuverstehen, muss man Olivis Interpretation kennen: Selbstbestimmung ist für ihn die Bereitschaft, für die eigenen Entscheidungen und Handlungen die Verantwortung zu übernehmen. Selbstbeherrschung meint die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, Sehnsüchte und Wünsche zu beherrschen, um nicht von ihnen abhängig zu sein. Also die Bereitschaft, das eigene Wollen zu hinterfragen und wenn nötig zu zügeln. Dies braucht Selbstreflexion, also das bewusste Bedenken und Bewerten von dem, was gedacht, geplant, angestrebt und getan wird. Die Autonomie macht laut Olivi das aus, was den Einzelnen unverwechselbar kennzeichnet. Für ihn ist dies eine von Gott jedem Menschen alleinig gegebene Begabung, die aus ihm, wie aus jedem Geschöpf, etwas Einmaliges macht. Aus dieser so verstandenen Autonomie folgt das Selbstbewusstsein oder die Selbstannahme – also die Bereitschaft, mich so anzunehmen, wie ich bin, und die mir geschenkten Begabungen zu entwickeln. Diese geförderten Begabungen sind es Dr. Johannes-Baptist Freyer OFM lehrte als Professor für Theologiegeschichte und Franziskanische Theologie an der Päpstlichen Universität Antonianum in Rom. Von 2005 bis 2011 war er Rektor dieser Universität. Heute ist er Referent für franziskanische Grundsatzfragen an der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn, »Franziskaner Helfen«. Freiheit ist eine Dimension der Beziehung

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