Franziskaner - Winter 2024

9 FRANZISKANER 4|2024 Asylpolitik und mehr legale Migrationswege ein. Zuvor, im Jahr 2015, hatte Orlando bereits die Charta von Palermo initiiert, in der internationale Mobilität als ein unveräußerliches Menschenrecht verstanden und Stellung bezogen wird gegen das Massensterben im Mittelmeer. Auch unter der Regierung Meloni helfen gutwillige Menschen den Schutzsuchenden In Palermo selbst sind wir vielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Privatpersonen begegnet, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind. Als Ersten trafen wir Ibra. Er kam aus Guinea nach Italien, damals noch als unbegleiteter Minderjähriger. 2015 versuchte er über Deutschland nach Finnland – sein Traumland – zu kommen. Von dort wurde er allerdings schnell wieder nach Italien zurückgeschickt. Und da es in Palermo für ihn eine bessere Infrastruktur gab, kehrte er zurück in den Süden des Landes. Heute arbeitet Ibra als Barkeeper in Festanstellung in einer angesagten Bar. Er hat ein Zuhause gefunden und ist stolz darauf, angemeldet zu sein, die Miete für seine Wohnung zu zahlen und anderen helfen zu können, denen es schlechter geht als ihm. Voller Zuversicht führt er uns durch »seinen Stadtteil Ballarò«, damit wir die Stadt auch durch die Augen von Geflüchteten sehen können. Ibra bringt uns zu den für ihn wichtigen Orten: zu einem senegalesischen Verein, der für alle aus Afrika ankommenden Menschen eine erste Anlaufstelle mit den wichtigsten Informationen bietet. Gegenüber zeigt er uns die Kirche Santa Chiara. In der katholischen Kirchengemeinde können Hilfesuchende kurzzeitig für ein paar Tage unterkommen und die Nachmittage damit verbringen, künstlerisch zu gestalten und zu malen. Ganz in der Nähe ist das »Moltivolti«, ein mittlerweile bekanntes Restaurant, in dem einige der geflüchteten Menschen Arbeit und Ausbildungsplätze gefunden haben. Ein Stück weiter befindet sich das »Arci Porco Rosso«, ein Ort der Zusammenkunft und kollektiven Entwicklung antifaschistischer und antirassistischer Politik sowie ein wichtiger Bezugspunkt für alle am Rande der Gesellschaft lebenden Menschen. Hier gibt es auch rechtliche Beratung, was insbesondere dann wichtig ist, wenn jemand keine Papiere hat. Interessanterweise liegen alle diese Orte im Herzen der Altstadt von Palermo im »armen« Viertel Ballarò. Dass keine dieser Einrichtungen Probleme mit rassistischen Vorfällen hat, wundert uns. Ibra und die anderen Menschen, mit denen wir ins Gespräch kommen, sagen uns, dass das Viertel sie schützt. »Weil wir uns um alle kümmern. Um Geflüchtete, Arme, Kranke, Alte. Alle, die wollen, können kommen.« Als Ibra vor neun Jahren – minderjährig und außerhalb des Systems – zurück nach Palermo kam, war es neben den ganz praktischen Informationen über die nächsten Schritte vor allem eine Gemeinschaft, die er fand. Es handelte sich nicht um staatliche Einrichtungen, die ihm die wichtigen Werkzeuge an die Hand gegeben haben, sondern um niedrigschwellige Angebote von NGOs und Privatpersonen, die einfach helfen wollten. Ein positives Zeichen für alle engagierten Menschen, die vielleicht gelegentlich an der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zweifeln! Stadtführung mit Ibra, der uns »durch die Augen eines Geflüchteten« sein Palermo zeigt Sanas Arbeit im »Moltivolti« gibt ihr eine Perspektive. Zu dem Projekt gehören heute neben dem Restaurant auch andere Geschäfte. © KERSTIN MEINHARDT

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