Franziskaner - Frühling 2025

16 FRANZISKANER 1|2025 governa, et produce diversi fructi con coloriti flori et herba. Laudato si', mi’ Signore, per quelli ke perdonano Eine islamisch-theologische Lektüre … Yasemin Amber, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorantin am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster. Es erfordert weder eine langwierige Suche noch besondere Anstrengungen, um im Sonnengesang des Franz von Assisi Parallelen und mögliche Anknüpfungspunkte zwischen islamischen und christlichen Perspektiven auf die Schöpfung zu erkennen. Der Sonnengesang liest sich beinahe wie eine literarische Verschriftlichung innerer – oder durchaus auch verbalisierter – Monologe von Muslim:innen angesichts alltäglicher Berührungen mit der Welt, die zum Anlass genommen werden, Gott zu preisen – eine verbreitete, vorgelebte Praxis, die als ḏikr (Gottgedenken) bezeichnet wird. Doch nicht nur inhaltlich, sondern auch in seiner literarischen Form mag der Sonnengesang muslimischen Leser:innen vertraut erscheinen. Er erinnert an spirituell-mystische Dichtung aus den viel²ältigen Sprachen und Kulturen der islamischen Zivilisation, wie etwa Rumis Neynâme oder Yunus Emres Sordum Sarı Çiçeğe. Während Rumi in poetischer Zwiesprache mit einem Schilfrohr (Ney) steht und Yunus Emre einen Dialog mit einer Blume führt, um von ihnen Weisheiten über ihre geschöpfliche Beziehung zum Schöpfer zu erfahren, betrachtet Franziskus die Schöpfung, erkennt die Schönheit und Sinnhaftigkeit der Naturelemente und verweist dabei ebenfalls stets auf den Schöpfer, indem er für diese Gaben dankt und Gott lobpreist – ein Ansatz, der sowohl der Praxis des Gottgedenkens als auch der Kontemplation (tafakkur) über die Schöpfung entspricht. Zwei wesentliche Charakteristika kennzeichnen diese geteilte religiös-mystische Perspektive: einerseits das Erkennen Gottes als Schöpfer in allem Sein, andererseits die Wahrnehmung der eigenen Existenz in geschöpflicher Verbundenheit mit der gesamten Schöpfung. Franziskus beschreibt die Sonne, den Mond und die Sterne sowie die Elemente Feuer, Wasser, Wind und Erde – je nach ihrem grammatischen Geschlecht im Italienischen – als Bruder und Schwester. Diese Vorstellung einer geschöpflichen Gemeinschaftlichkeit ²indet eine eindrückliche Entsprechung im Koranvers Q 6:38: »Weder gibt es ein Tier auf Erden noch einen Vogel, der mit seinen Flügeln fliegt, die nicht, gleich euch, Gemeinschaften wären.« Diese Aussage lässt erahnen, dass auch Tiere möglicherweise über eigene Kommunikationsformen, soziale Strukturen sowie Ordnungsprinzipien verfügen. Doch das Bewusstsein für diese Geschöpflichkeit beschränkt sich nicht auf die Tierwelt: »Die sieben Himmel und die Erde und wer in ihnen ist, lobpreisen Ihn. Und es gibt nichts, das nicht Sein Lob preist; doch ihr versteht ihren Lobpreis nicht« (Q 17:44). Aus einem anderen Koranvers (Q 22:18) geht zudem explizit hervor, dass neben Tieren auch einzelne Naturelemente, die uns unbelebt erscheinen, wie Bäume, Berge, Sonne, Mond und Sterne, Gott lobpreisen: »Hast du nicht gesehen, dass sich vor Allah anbetend niederwirft, wer in den Himmeln und auf Erden ist – ebenso die Sonne und der Mond und die Sterne und die Berge und die Bäume und die Tiere und viele Menschen?« Nur verkennen wir Menschen des postmetaphysischen Zeitalters die Subjektivität, den Gottesdienst und die Gottbezogenheit von allem Sein. Diesen religiösen Zugängen ist gemeinsam, dass Naturphänomene als Zeichen Gottes erkannt werden, wobei sich aus den oben genannten Koranversen zusätzlich zu der Medialität der Schöpfung als Ausdruck göttlicher Gnade auch eine gewisse Subjektivität und Gottesfurcht von Naturphänomenen ergibt, wie beispielsweise in Q 59:21 impliziert wird: »Wenn Wir diesen Qur´an (als Offenbarung) auf einen Berg hinabsendeten, würdest du ihn wahrlich aus Furcht vor Allah demütig werden und sich spalten sehen.« Die im Koran angedeutete Verwandtschaft zwischen tierischen und menschlichen Gemeinschaften sowie die Lobpreisung Gottes durch sämtliche Elemente der Natur, die Franz von Assisi als Geschwister anspricht, lassen auf einen ähnlichen Zugang zur Welt schließen, wie sie sich auch in den Werken Rumis und Yunus Emres manifestiert: eine demütige Perspektive der Weisheits- und Gottsuche in der Betrachtung allen Seins. Dabei erscheinen Naturelemente nicht nur als Zeichen und Gnade Gottes, sondern auch als Vorbilder im Gedenken an und in der Ehrfurcht vor Gott und laden den Menschen dazu ein, in die kosmische Lobgesangssymphonie einzustimmen. Yasemin Amber SÄMTLICHE ICONS AUF DER DOPPELSEITE: STOCK.ADOBE.COM | PORTRÄTS DER AUTORINNEN: © PRIVAT

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